Camel Club 01 - Die Wächter
Dann kann ich für nichts mehr garantieren, und vielleicht sind wir allesamt tot. Irgendwelche Fragen, Sir?«
Gray hätte lieber eine Spritztour unternommen, anstatt sich auf die Besprechung mit Brennan vorzubereiten. Doch zu seinem Kummer wurden ihm Spazierfahrten nicht erlaubt. Der Geheimdienstchef durfte sich so wenig ans Steuer eines Fahrzeugs setzen wie der Präsident selbst; er galt als zu unentbehrlich für die nationale Sicherheit, als dass man ihn ein Auto hätte lenken lassen.
Am allerliebsten wäre Gray jetzt zum Angeln gegangen. Aber da es ihm zurzeit verwehrt blieb, verlegte er sich auf eine andere Art des Fischzugs, in der er sich ebenfalls durch großes Talent auszeichnete.
An seinem Notebook gab er Suchaufträge nach Namen ein. Innerhalb von fünf Minuten erhielt er die gewünschten Informationen. Das NIC-Personal war an Effektivität kaum zu überbieten.
Tatsächlich war es einer seiner genialsten Schachzüge gewesen, überlegte Gray, sämtliche Terroristendaten unter der Verwaltung des NIC zu zentralisieren. Nicht nur war das gesamte System dadurch zuverlässiger geworden – es gewährte dem NIC überdies frühzeitigen Einblick in die Tätigkeit anderer Geheimdienstorganisationen. Falls beispielsweise die CIA Informationen brauchte, recherchierte sie in den NIC-Datenbanken, und Gray sah sofort, für was sie sich interessierte. Das System bewährte sich hervorragend und erlaubte es ihm, unter dem Deckmantel der verwaltungstechnischen Effizienz die Kollegen sämtlicher anderen Geheimdienste zu observieren.
Etliche Male teilte er den Bildschirm, damit er die Bilder und Daten gleichzeitig betrachten konnte. Er sah eine ganze Anzahl von Gesichtern: Männer aus dem Nahen Osten. Alle waren sie – mitsamt digitalisierten Fingerabdrücken, soweit sie vorlagen – ordnungsgemäß in den NIC-Datenbanken gespeichert. Und alle waren sie tot, viele von der Hand anderer Terroristen gestorben. Die Totenkopf-Markierung in der oberen rechten Ecke des Fotos bestätigte das Schicksal jedes Einzelnen. Zu ihnen zählten ein Techniker und ein Chemiker, die als versierte Bombenbastler galten. Ein anderer Mann, Adnan al-Rimi, war ein kühner Kämpfer gewesen, dessen Nerven kein Gefecht je überfordert hatte. Sechs weitere Personen hatten ihr Leben verloren, als der Lieferwagen explodierte, in dem sie saßen; ob durch einen Unfall oder einen Anschlag, konnte später nicht mehr geklärt werden. Der Ort des Geschehens hatte grauenvoll ausgesehen; die Leichen waren völlig zerfetzt. Mit Ausnahme eines gewissen al-Zawahiri hatte keiner der Männer auf der A-Liste der Terrorverdächtigen gestanden, und doch war es für Amerika ein Glück, dass sie den Tod gefunden hatten.
Gray ahnte nicht, dass die Fotos al-Rimis und anderer Männer auf subtile Weise abgewandelt worden waren, sodass es sich nicht um die Fotos der tatsächlich ums Leben gekommenen Personen handelte; vielmehr hatte es Gray, um ein Beispiel anzuführen, mit einer digitalen Kombination des echten al-Rimi und jenes Toten zu tun, den man als al-Rimi identifiziert hatte. Die Modifikation war auf eine Weise erfolgt, dass ältere Fotos der Toten, falls es welche gab, nicht ausreichend von den Bildern abwichen, als dass es aufgefallen oder gar nachprüfbar gewesen wäre. Um dies zu bewerkstelligen, waren Zeit und beachtliche Fachkenntnisse erforderlich gewesen. Aber das Resultat rechtfertigte den Aufwand. Inzwischen war es unmöglich, anhand der Fotos in den NIC-Datenbanken einen der toten Araber zu identifizieren.
Ein zweiter brillanter Streich war es gewesen, keinem der Toten ein wiedererkennbares Gesicht zu belassen. Da zuvor in den NIC-Dateien die Gesamtheit ihrer Fingerabdrücke, ihre forensische Signatur, ausgetauscht worden war, hatte man zwangsläufig ihre – scheinbar eindeutige – Identifizierung ausschließlich durch Fingerabdrücke vorgenommen. Im Zeitalter der digitalen Daten konnte praktisch alles verfälscht werden.
Dennoch hatte Carter Gray das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.
Er löschte den Bildschirm und beschloss, einen Spaziergang auf dem NIC-Gelände zu machen. Während er umherschlenderte, hob er den Blick zum Himmel und schaute einer 747 der Lufthansa nach, die den Dulles Airport anflog, und seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit.
Zu Beginn seiner Karriere bei der CIA hatte Gray sich in der ultrageheimen, inzwischen aufgegebenen Ausbildungseinrichtung in Virginia aufgehalten, gut zwei Stunden Autofahrt von Washington
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