Camel Club 03 - Die Spieler
es Morgen, die Luft eisig. Allein stand Harry Finn, die Hände in den Taschen, auf dem Nationalfriedhof Arlington und starrte in die leere Grube, in der John Carr für alle Ewigkeit hätte ruhen sollen. Doch es war eine Lüge gewesen. Und weshalb sollte Finn sich darüber wundern? Über die wichtigsten Dinge log die Regierung immer.
Wenngleich er den Mann ursprünglich für tot hielt, hatte Finn es nicht versäumt, John Carrs Hintergrund zu recherchieren. Als SEAL hatte er in Zusammenarbeit mit der CIA auch geheimdienstliche Aufklärung betrieben. Durch den Einsatz derselben Fähigkeiten, mit denen er heutzutage seinen Lebensunterhalt verdiente, hatte er allmählich die Ereignisse in den letzten Tagen im Leben seines Vaters zutage gefördert, ebenso die Vergangenheit der Männer, die an seiner Ermordung beteiligt gewesen waren.
Judd Bingham, Bob Cole und Lou Cincetti hatten einen ähnlichen Werdegang gehabt. Sie hatten bei der CIA gearbeitet und anscheinend Freude an ihrem Job gehabt, bis sie sich als Pensionäre in ein behagliches Leben des Nichtstuns hatten zurückziehen dürfen. Ein Dasein, das Finn wie aus heiterem Himmel beendet hatte.
Nur Carr war ein ganz anderer Mann. Anfangs hatte er offiziell als Angehöriger einer Heereseinheit gekämpft, hatte mitgemischt bei jener Art von Scharmützeln, die von Zeit zu Zeit überall auf der Welt ausbrachen und in die einzugreifen die USA zwar nicht gezwungen waren, sich moralisch jedoch dazu verpflichtet fühlten. Ehe er Mitglied der Abteilung 666 der CIA wurde, war John Carr einer der höchstdekorierten Veteranen des Vietnamkriegs gewesen. Unter anderem hatte man ihm vier Purple Hearts verliehen, und kein einziges Mal für Etappendienst. Man hatte sogar davon gesprochen, er sollte vom Kongress die Medal of Honor erhalten, den höchsten militärischen Orden. Jeder Soldat, der diese Auszeichnung bekam, gewann in den Augen der Berufsmilitärs den Status der Unsterblichkeit, obwohl der Orden häufig posthum vergeben werden musste. Deshalb kannte man ihn auch unter der Umschreibung »der Orden, den du nie zu sehen kriegst«.
Auf alle Fälle hatte John Carr den Eindruck eines idealen Kandidaten für das militärische Äquivalent einer olympischen Goldmedaille erweckt. Finn hatte den offiziellen Bericht mit Grausen gelesen. Mit äußerster Entschlossenheit hatte Carr seinen in einen Hinterhalt geratenen Zug Soldaten in einem mörderischen Feuergefecht gegen eine zahlenmäßig viel stärkere, durch Artillerieunterstützung begünstigte Truppe von Nordvietnamesen aus dem Schlamassel gerettet. Sergeant John Carr hatte persönlich vier Verwundete auf dem Rücken in Sicherheit geschleppt und währenddessen wiederholt das eigene Leben riskiert. Zweimal war er von feindlichen Kugeln getroffen worden und hatte es dennoch irgendwie geschafft, ein Dutzend Vietcong zu töten, drei davon im Nahkampf; darüber hinaus hatte er weitere Gegner mit einer Zielgenauigkeit aus Baumwipfeln heruntergeschossen, die dem Bericht zufolge ans Übernatürliche grenzte.
Anschließend hatte Carr sich in einem MG-Nest festgesetzt und wiederholte Angriffe abgeschlagen, den vielfachen Einschlag von Granatwerfergeschossen rings um seine Stellung überlebt und bei alldem noch Gelegenheit gefunden, einen Erdkampftrupp der Air Force anzufordern, der den Feind verscheucht hatte, sodass Carrs Kameraden unbehelligt den Rückzug antreten konnten. Ungeachtet seiner in Blut getränkten Uniform hatte er das Gefechtsfeld aus eigenen Kräften verlassen. Finn kam nicht umhin, einen gewissen Respekt vor dem Mann zu empfinden. Er hatte sich immer für einen Soldaten erster Qualität gehalten, betrachtete es aber nicht als ausgeschlossen, dass John Carr ihn auf der Messlatte militärischer Tugenden vielleicht übertroffen hatte.
Dennoch hatte Carr den Orden nicht bekommen. Finn wusste nicht, dass dabei keine soldatischen Heldentaten den Ausschlag gegeben hatten, sondern politische Erwägungen. Er ahnte nicht, dass Carrs wachsende Abneigung gegen den Krieg seine Vorgesetzten gegen ihn aufgebracht hatten. Sein Kommandeur hatte ihn nicht einmal für den Orden vorgeschlagen; andere Offiziere hatten es tun müssen. Doch irgendwo in der Hierarchie, in Kreisen, die noch über den Oberbefehlshabern standen, war durch gewisse Leute verhindert worden, dass man einen verdienten Soldaten mit der höchsten militärischen Tapferkeitsauszeichnung belohnte.
Stattdessen war Carr aus den Reihen der Armee verschwunden. Erst Jahre später
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