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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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Mittel- und Seitentribüne. Wir werden, wenn es soweit ist, entscheiden, wohin wir uns setzen. Der Plan ist, während der ersten Halbzeit in einer gewissen Distanz zu bleiben und die Pause zu nutzen, in der ich mich dann allein der Mitteltribüne nähere, um zu sehen, ob Saro Incantalupo etwas Interessantes zurücklässt. Ein wahnsinniger Gedanke, dass eine so dumme und unbedeutende Sache alles ändern kann.
    Cocíss sagt, dass er für Fußball nicht besonders viel übrig hat (da haben wir doch tatsächlich noch etwas gemeinsam). Ich gestehe es ihm nicht, aber vielleicht kapiert er es trotzdem, als er die Zigarette wegwirft, bevor wir ins Büro der Autovermietung gehen.
    Wir fahren wieder. Und wir bewegen uns weiter Richtung Norden. In einem flaschengrünen Škoda Station Wagon auf
Autobahnen ohne Zahlstellen, mit einem Navigationsgerät, das Cocíss nachzuahmen liebt. Doch er fragt mich nie, was diese Stimme sagt. Beschränkt sich darauf zu bemerken, dass ich ja zum Glück mit denen hier reden kann.
    Wir nähern uns der dänischen Grenze, weil der Boss ohne Gesicht nach Cocíss’ letzten Informationen beschließen könnte, am Abend vor dem Fußballspiel nach Kopenhagen zu kommen und dann mit dem Auto nach Hamburg zu fahren. Der Flug aus Barcelona landet um 22.30 Uhr in Kastrup. Ich sehe gleich meinen Film ablaufen: Vielleicht bleibt der Boss über Nacht in dem großen Flughafenhotel. Das wäre perfekt. Ein Zimmer ist ein idealer Ort, um Spuren zu sammeln, man braucht sich nur eine Stunde darin aufzuhalten, um eine Menge zu hinterlassen. Und in einem Hotel mit zweihundert Zimmern fällt man nicht so leicht auf.
    Die Wahrheit ist, dass ich erschöpft bin. Ich bin nicht mehr ich, habe mein Leben nicht mehr, meine Wohnung nicht mehr, vielleicht nicht einmal mehr meine Arbeit. Meine Eltern sind auch total orientierungslos, und ich suche dummerweise eine Abkürzung zur Spitze des Eisbergs.
    »Sag mal, wer gibt dir denn diese Tipps?«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich könnte wetten, einer aus dem Clan will den großen Boss abservieren.«
    »Den serviert keiner ab, auch seine Leute nicht. Der stirbt mit hundert Jahren, das habe ich dir gesagt.«
    »Und du willst der Einzige sein, der ihn zu packen kriegen kann. Hast du ihn persönlich getroffen?«
    »Und was ist da komisch dran?«
    »Er hat sich nicht mal von seinen engsten Vertrauten ins Gesicht sehen lassen, als er zurück in eure Gegend gekommen ist.«
    »Nerv mich nicht. Vertrau mir und fertig.«
    »Es ist nicht so, dass du nur weißt, wie er sich nennen lässt?«
    »Falsche Namen hat er hundert. Aber nur ein Gesicht. Was
willst du? Die Abmachung aufkündigen? An dem Punkt jetzt gibt’s kein Zurück mehr.«
    Er hat recht.
    »Wer hat denn von aufkündigen gesprochen?«
    Er nickt und stützt die Füße gegen das Armaturenbrett.
    »Wir müssen nur ein paar Tage warten. Hör mal, ich will irgendwo warten, wo das Meer ist.«
     
    Wir müssen drei Tage warten, um genau zu sein. Das Spiel findet am Samstagnachmittag statt, und am Freitag werden wir erfahren, ob es angebracht ist, nach Kopenhagen aufzubrechen oder nach Hamburg zu fahren.
    Es herrscht ruhiger Verkehr. Cocíss schaut hinter jedem schnellen Auto her, das uns mit mehr als hundertfünfzig überholt. Ich frage ihn, ob er noch mal aus der Nase geblutet hat. Er schüttelt gleich den Kopf, ohne mich anzusehen (was heißt: ja).
    Ich glaube, dass eine jahreszeitlich bedingte Allergie seinen Schnupfen verschlimmert hat. Er fasst sich oft an eine Stelle am Unterkiefer, vielleicht entzündet sich da ein lockerer Zahn, aber er sagt nichts. Und ich bin es leid, ihn an seine Mundspülung zu erinnern. Ich bin nicht seine Schwester und erst recht nicht seine Mutter. Irgendwo hat die Komödie auch eine Grenze.
    Er nimmt eine Straßenkarte und verbringt zwanzig Minuten damit, Namen von deutschen Orten zu lesen, die tatsächlich schwer auszusprechen sind, erst recht für ihn. Ab und zu legt er mir die Karte aufs Steuer.
    »Ich muss fahren, wenn du erlaubst«, dämpfe ich ihn.
    Er faltet die Karte mit Gewalt gegen die Falzrichtung zusammen und fragt mich noch einmal nach dem marokkanischen Bischof (die Sache kann er echt nicht verdauen).
    »Algerisch«, verbessere ich ihn.
    »Die sind alle gleich«, sagt er. »Sag mal, meinst du, er hatte andere Frauen? Ich meine, hast du das je rausgekriegt?«
    »Bevor er Priester wurde, bestimmt«, antworte ich. Dann
zeige ich ihm, wie sich die Farbe des Himmels jenseits eines Wäldchens mit

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