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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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die den Fluss säumen, ziehen sich regelmäßig, weiß und geordnet jenseits der Bäume hin. Der Verkehrslärm ist ein leises Rauschen, das träge über die grünen Dämme bis zu uns vordringt.

    Irgendwie habe ich das Gefühl, Cocíss kommt sich in dieser ganzen Ruhe ungeschützt und verletzbar vor und hört deshalb keinen Augenblick auf, sich zu beschäftigen, zu lesen und zu schreiben. Nach zwei Stunden bin ich es, die ihm sagen muss, dass es genug ist, dass ich müde bin, und wir gehen auf einem Schiff Eis essen. Er bestellt den größten Becher, den es gibt, mit Baisers, Haselnüssen und kandierten Kirschen.
    Inzwischen sind die blassen Schatten der Fahnenstangen länger geworden.
    Cocíss gräbt in seinem großen Becher herum und folgt mit dem Blick einem Lastkahn. Das Wasser des Flusses hebt sich mit flachen Wellen wie vergilbtes Seidenpapier.
    »Also, ich«, sagt er irgendwann, als hätte er sich vor einer halben Minute unterbrochen, »wirklich, ich denke nicht, dass Polizisten Scheißdreckskerle sind. Nicht alle. Sieh mal, ich verstehe, dass ihr eure Arbeit machen müsst. Und dass auch die Polizisten Familie haben. Und dass es auch bei der Polizei Leute gibt, die in Ordnung sind, wie du.«
    Ich könnte nicht mal sagen, was mich daran am meisten wütend macht, und außerdem bin ich zu neugierig, worauf er hinauswill.
    »Also?«
    »Also beurteile ich dich nicht als gut oder schlecht, weil du bei der Polizei bist, verstehst du? Das heißt, du darfst nicht glauben, dass ich darauf gucke, ich versuche die Person zu sehen, die du bist, unabhängig davon. Ich hätte gern, dass es für dich das Gleiche ist. Das, was du über mich denkst, meine ich.«
    »Willst du die Wahrheit wissen?«
    »Du denkst, dass ich als schlechter Mensch geboren bin.«
    »Das ist es nicht. Niemand wird als schlechter Mensch geboren.«
    »Genau, siehst du, was du da sagst, das denke ich auch.«
    »Augustinus dachte, dass niemand als schlechter Mensch geboren wird, weil das Böse nicht existiert.«

    »Im Ernst?«
    »Das ist wie mit dem Dunkel. Denk mal nach. Kannst du das Dunkel fühlen, essen, anfassen?«
    »Nein.«
    »Siehst du: Das Dunkel existiert nicht, es ist nicht wirklich. Dunkel heißt nur, dass es kein Licht gibt. Licht ist etwas Wirkliches. Die Sonne ist wirklich. Los, dreh dich um.«
    Ich packe ihn am Arm. Wie in der Nacht seiner Ankunft in Spaccavento, als ich ihn in sein Zimmer gebracht habe.
    »Mach die Augen zu. Spürst du die Sonne? Auf dem Gesicht?«
    »Sie ist nicht so warm wie bei uns.«
    »Stimmt, aber du spürst sie.«
    »Ja.«
    »Also existiert sie.«
    Ich lasse ihn los. Er macht die Augen wieder auf, nimmt seine Studentenbrille ab und sieht mich an.
    »Ist dieser Augustinus ein Freund von dir?«
    »Er war meine erste große Liebe.«
    Er dreht sich zur anderen Seite. Die Vertraulichkeit hat ihn überrumpelt.
    »War er einer, der viele solche Sachen gedacht hat?«
    »Ziemlich viele.«
    »Aber ihr seid nicht mehr zusammen.«
    »Sagen wir, es war eine unmögliche Liebe.«
    »Und wieso?«
    »Er war sehr viel älter als ich.«
    »Da gibt es aber heute viele, die eine jüngere Frau haben.
    Viel jünger. Und wo ist das Problem?«
    »Das Problem ist, dass er Bischof war.«
    Er schlägt mit der Hand auf den Tisch und lacht laut auf.
    »Ein Priester, der eine Frau hat.«
    Er setzt noch einen schönen Pfiff drauf.
    »Ich habe dir ja gerade gesagt, dass es eine unmögliche Liebe war.«
    »War er da Bischof, wo du gelebt hast?«

    »Nein. In Algier. In Afrika.«
    »Er war Bischof in Aˇka?«
    »Ja, übrigens war er Afrikaner.«
    Er lacht noch lauter, schwankt auf dem Stuhl nach hinten.
    »Was sagst du da für einen Scheiß, Rosa. Weißt du, ich kenne die, die Marokkaner, die können nicht Bischof werden. Denen darfst du nie trauen. Der wollte sich mit dir nicht noch mehr in Schwierigkeiten bringen.«
    Ich lache ebenfalls. Und je mehr ich weiß, dass ich es nicht sollte, desto mehr muss ich lachen. Er biegt sich auf dem Stuhl, macht Geräusche mit der Nase, aber schriller als sonst, wie ein Wiehern, kneift sich in die Backe, um wieder ernst zu werden. Er weiß nicht, dass ich auch über ihn lache.
    Ich lache so sehr, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Vielleicht fröstle ich auch vor Kälte, denn die Sonne verblasst.
    Aber das Frösteln ist auch etwas, das ich mir nicht zu erklären weiß.
     
    Es gelingt mir, im Internet sechs Karten für das Spiel Hamburg-Wolfsburg zu bekommen. Jeweils zwei Karten an drei verschiedenen Stellen der

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