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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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niedrigen, knorrigen Eichen ganz langsam verändert. »Schau mal, wir sind am Meer.«
    »Abbiegen, abbiegen«, sagt er.
    »Ich biege ja ab, ich biege ja ab. Warte wenigstens, bis eine Ausfahrt kommt.«
    Zwei Kilometer später fahre ich ab. Es ist zehn nach sieben, und ich habe furchtbaren Hunger. Ich folge den Schildern zu dem einzigen Ort im Umkreis von dreißig oder vierzig Kilometern, der auf der Karte groß geschrieben ist. Wir sind mehr oder weniger auf halber Strecke zwischen Hamburg und Kopenhagen. Es ist eine in einem Fjord mit Wasser so dunkel wie Eisen versteckte Siedlung. Ich halte vor einer Reihe Häuser, die so winzig sind, dass es aussieht, als könnte man nur mit Mühe durch die Tür eintreten.
    »Können wir nicht weiterfahren?«, fragt er.
    »Nein.«
    Der Platz in der Ortsmitte ist ein grasbewachsener Friedhof, die grauen, eckigen Grabsteine sind unter Iris, Tulpen und Ranunkeln beinahe versunken. Drum herum stehen Bäume im Rund und ein Kreis weißer Häuser mit Dächern so spitz wie Sägezähne. Kleine Fenster zwischen dunklen Fachwerkbalken. Zwischen den Fenstern wachsen Rosen.
    »Und was ist das, eine Krippe?«, fragt Cocíss. Ich öffne die Tür, doch er scheint fast Angst zu haben auszusteigen.
    »Scheint so.«
    »Bleiben wir hier?«
    »Wir essen was, ich falle gleich um. Dann sehen wir mal.«
     
    Herrn Fischers Hobby ist Fischen, und sein Klingelschild hängt über einer lächelnden Keramikforelle. Man hat uns gesagt, dass er der Einzige im Dorf ist, der noch ein freies Zimmer für die Nacht haben könnte.
    Herr Fischer ist untersetzt, hat einen dunklen Schnurrbart, sieht fast italienisch aus. Er zeigt uns das Gästehaus, schmuck und sauber wie sein eigenes, nur ein bisschen kleiner. Eine
Wohnküche, zwei kleine Zimmer und ein Bad wenige Meter von der Strandlinie entfernt. Cocíss gefällt es. Mir nicht. Ich versuche ihn zu überreden, dass wir in ein Hotel gehen, vielleicht in der Stadt, moderner.
    »Mir gefällt es hier. Wo liegt das Problem?«
    ( Kleiner Ort, zu isoliert, zu ruhig. )
    Wir fangen an zu diskutieren, und Herr Fischer scheint ungeduldig zu werden.
    »Nur für heute Nacht. Was ist los, macht es dir was aus, das Bad mit mir zu teilen?«
    »Wo ich dich in meiner Wohnung habe schlafen lassen!«
    Ich sage es fast so, als würde ich es mir selbst vorwerfen.
    »Ja, und was ist dann?«
    Also, keine Ahnung. Herr Fischer kommt mir nicht richtig deutsch vor, dieses Dorf scheint mir nicht echt (ich habe Paranoia), und ich würde lieber in einer großen Stadt untertauchen, in einem anonymen Riesenhotel.
    Cocíss macht dem Vermieter mit einer Geste klar, dass wir bleiben. Herr Fischer nimmt die Schlüssel aus der Tür, legt sie auf den Tisch und verabschiedet sich.
    »Aber nur für eine Nacht.«
     
    Wir bleiben drei Tage.
    »Ich habe das Gefühl, hier passiert nichts«, sagt er ab und zu. »Das ist neu für mich. Im Moment finde ich das okay.«
    Vormittags lesen und schreiben wir. Im Zeitschriftenladen am Bahnhof gibt es mit ein paar Tagen Verspätung eine italienische Tageszeitung, doch über ihn steht immer das Gleiche drin: »Die Schlinge zieht sich zu«, oder: »Wir stehen kurz vor der Festnahme.« Blödsinn: Wenn man wirklich kurz davor ist, einen zu schnappen, teilt man das nicht der Presse mit. Sein Foto erscheint nicht mehr in der Zeitung, und darüber scheint Cocíss sogar enttäuscht zu sein. Ich glaube, er ist nicht mehr das tagesfrische Monster.
    Normalerweise gehen wir zu Fuß in den moderneren Teil der Siedlung, um uns etwas zu essen zu kaufen. Cocíss will
nichts von maghrebinischem oder indischem Essen wissen, er stopft sich mit Pommes frites, Snacks und Eis voll. Den halben Nachmittag döst er vor dem Fernseher, dann setzt er sich an den Tisch in unserer Wohnküche und schreibt. Über die Wiese geht der Wind, dann die Sonne, dann der Hund von Herrn Fischer. Und inzwischen erfindet er Wörter ohne Sinn, denn die Wörter, wie er sie sagt oder denkt, sehen auf seinem Blatt anders aus, als er gedacht hat. Ich verbessere ihn sehr geduldig, auch wenn er zum zehnten Mal »patro« statt »prato« schreibt.
    Bevor die Sonne untergeht, machen wir einen Spaziergang zu den Bänken aus grobem Beton. Die Enten fliegen in Formation, wie perfekte Pfeile. Zwischen zwei Windstößen ziehen große krächzende Krähen durch die raue Luft über uns hinweg. Auf einer Baustelle liegt eine riesige Boje, die aussieht wie ein aus den Tiefen des Ozeans geborgenes Raumschiff, das nun im dunklen

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