Camorrista
kurzfristig möglich, was erreichen wir damit? Wir bekommen eine Namensliste, die man vielleicht auf zwanzig zusammenstreichen kann, wenn wir wirklich Glück haben, auf fünfzehn. Vielleicht alle Bürger anderer Staaten, bestimmt alle ohne Vorstrafen. Ganz schön nervig.
Aber nehmen wir einmal an, wir bekommen tatsächlich die Dokumente mit Fotos von ihnen. Was haben wir davon? Das Gesicht von Saro Incantalupo kennen wir nicht, und wir haben nicht die Leute, um fünfzehn Personen in ganz Europa beschatten zu lassen.
Die Methode ist nicht klar, das Ergebnis unsicher. Ich gebe die Idee auf, als ich schon D’Intròs Nummer gewählt habe. Jenseits des in der Scheibe gespiegelten Himmels sehe ich, wie Cocíss sich im Nacken kratzt und versucht, die Augen zu öffnen (die Abmachung, respektiere ich sie nicht mehr?).
Die Sonne wird schwächer, und ich schaue hoch.
Meiner Mutter würden zehn Namen einfallen, um die Farbe dieses Himmels zu beschreiben. Eine Farbe wie Engelsbauch, zum Beispiel. Oder Zuckerpapier. Sie fand immer neue Bezeichnungen, dachte sich viele nur aus, um Diego und mich zum Lachen zu bringen. Vor Lachen gekrümmt haben wir uns natürlich bei »Hexenkacke«, womit sie das dunkle Gelb bezeichnete, das mein Vater für die Fassade eines kleinen Stalls, der renoviert werden sollte, ausgesucht hatte. Sie stritten sich heftig, und mein Vater schickte uns ins Bett, weil wir immer wieder »Hexenkacke« wiederholten und wie die Blöden lachten.
Ich weiß nicht, was meine Mutter für die Farbe dieses Himmels erfinden würde. Aber man hat das Gefühl, dass hier nichts passiert, wie Cocíss sagt, unter einem derart zarten Himmel. Ein aufgehängter Taucheranzug schaukelt im Wind, und der Nachbarsjunge tritt in die Pedale eines roten Dreirads (schnelles Rot).
Ich suche die Nummer meiner Familie heraus und denke: Nichts, das ist im Moment das Beste, was passieren kann. Auch für mich.
Cocíss nimmt die SIM-Karte aus dem Handy und schnippt sie mit Zeigefinger und Daumen ins Wasser. Zum Telefonieren ist er bis zur letzten Planke des Stegs gegangen, und jetzt kommt er zurück zu mir.
»Es ist bestätigt.«
»Was?«
»Das Spiel. Samstag«, erklärt er mit gedämpfter Stimme. Ich hatte mich mit der Suche nach ein paar schön geformten Kieselsteinen abgelenkt.
»Gut. Dann fahren wir morgen los.«
Ich gehe in die Knie und spüle meine Hände in dem flachen Wasser ab.
»Dann ist es jetzt so weit«, sagt er und fasst sich an die gerötete Nase. Er blickt hinauf zur Straße, die aus einem kleinen Lindenwäldchen herauskommt. Hinter der Lärmschutzwand aus Glas schiebt sich langsam ein Familienvan nach dem anderen vorbei.
Auf jede Scheibe ist der Umriss eines Falken gemalt. Ich habe mir erklären lassen, dies diene dazu, kleinere Vögel fernzuhalten, die niedriger fliegen und gegen das Glas prallen könnten.
(Manchmal kann der Schatten des Räubers die Rettung bedeuten.)
Um das gemeinsame Bad zu teilen, habe ich eine Reihe von Regeln und festen Abfolgen durchgesetzt. Und ehrlich gesagt hält Cocíss sich penibel daran. Er duscht zweimal am Tag, und inzwischen weiß ich auch, warum. Er nimmt keine Gerüche wahr und lebt in dem ständigen Wahn, er könnte schlecht riechen. Und immerhin lässt er keine Haare unten in der Dusche oder Spritzer auf dem Rand der Toilette zurück.
Aber heute Abend ertappe ich ihn dabei, wie er in meinen Kosmetikkoffer schielt. Um mich abzulenken, erzählt er mir von seinem Freund, der sich schminkte, um mit Männern zu gehen. Willy nannte er sich. Er machte kein Geheimnis daraus, schämte sich deswegen nicht. Da haben er, Zecchetto und Medina ihm eines Tages vorgeschlagen, für sie zu arbeiten.
»Aber wir waren nicht seine Zuhälter«, stellt er gleich klar, während ich mir die Wimperntusche zurückgeben lasse und
den Reißverschluss zuziehe. »Du bringst die Freier an einen bestimmten Platz, haben wir zu ihm gesagt, sagen wir mal: in eine abgelegene Straße, und irgendwann tauchen wir dann auf. Wir machen einen Überfall, und du spielst den Verängstigten. Das geht ganz cool ab. Und wenn der uns anzeigt? Ach was, wenn es uns in den Kram passt, je nachdem, was das für einer ist, macht Zecchetto noch ein paar Fotos, und dann sehen wir mal, ob nicht noch für uns alle ein schönes Auto rausspringt.«
»Genial«, gebe ich zu. »Und wie viele Autos habt ihr gekriegt?«
»Kein einziges. Du hast nicht zufällig eine Pinzette?«
Ich stehe ein bisschen blöd da, während er näher an
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