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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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Delfino hieß, ich weiß nicht, ob mit richtigem Namen oder Spitznamen. Aber der hieß so.«
    »Und die Armbanduhren?«
    »Die Dealer, die im Gefängnis waren. Das war, um mich zu erinnern … So was wie Handschellen, verstehst du? Sie hatten die vielleicht verhaftet, als sie mir noch was zahlen mussten. Und wenn sie dann rauskamen, erinnerte ich mich daran, dass sie zahlen mussten.«
    »Und wenn sie nicht gezahlt haben?«
    Er wiegt den Kopf.
    »Wenn du den Stoff nicht bezahlst, ist das wie Klauen.«
    »Und du? Hast du die Studenten nicht beklaut?«
    »Das war was anderes«, sagt er ohne die geringste Verlegenheit. »Ich habe das Geld genommen, weil ich keins hatte, meine Mutter hatte keine Arbeit, und was hätten wir machen sollen, verhungern? Und die, was hatten die für Probleme? Die hundert oder zweihundert Euro hat ihnen ihr Papa doch am nächsten Tag wiedergegeben.«

    »Das ist nicht deine Sache. Jedenfalls hat irgendjemand dieses Geld verdient. Vielleicht sogar mit Arbeit.«
    »Hör mir mal gut zu … Sobald ich einen gefunden hatte, der zu mir ›du kannst was verdienen‹ gesagt hat, da hab ich aufgehört zu klauen und bin sofort zur Arbeit gegangen. Ich hab fünf, sechs Stunden auf einer Terrasse gestanden, auch im Winter. Um zu verdienen, hab ich das gemacht. Das gab’s zu tun, was soll ich dir sagen, und das habe ich gemacht. Wenn vorher einer gekommen wäre und hätte mir was anderes angeboten, das nicht gegen das Gesetz war, hätte ich das auch gemacht. Und vielleicht wäre ich dann jetzt anders.«
    »Du musst gar nicht so weit ausholen. Klauen heißt eine Sache nehmen, die dir nicht gehört. Ende.«
    »Du machst es dir vielleicht einfach.«
    Mir entschlüpft ein Lächeln, verdammt.
    »Manchmal sind die Dinge auch einfach. Langes Herumphilosophieren hilft nicht immer.«
    Er macht eine verneinende Geste mit dem Finger, legt dann die Hände auf den Tisch.
    »Hör mir zu, ich erklär’s dir.«
    »Was hast du mir zu erklären?«
    »Du kannst nicht einfach sagen, das ist Klauen, und fertig, das kannst du nicht sagen, weil, du musst die Lage der Leute verstehen. Wenn es mir schlecht geht, ist klar, dass ich nicht warte, bis ich verhungere. Aber ich versuche, keine Sachen zu machen, wegen denen ein anderer dann durch meine Schuld Probleme bekommt. Ich nehme Geld von einem, der deswegen keine Probleme kriegt. Aber wenn du Stoff nimmst und ihn mir dann nicht bezahlst, dann bringst du mich in Schwierigkeiten, ich kann sogar sterben, denn ich hab das Geld ja nicht, und ich muss es einem geben, der sich keine Geschichten anhört, klar? Ich kann durch deine Schuld erschossen werden, nur weil ich dir auf Vertrauen den Stoff gegeben habe. Das ist schlecht, das ist Klauen. Das ist falsch, verstehst du?«

    »Okay, dann ist es so, wie du sagst. Und wer was Falsches gemacht hat, was passierte mit dem?«
    »Wir haben ihm beigebracht, das nicht wieder zu tun.«
    »Ich habe sie gesehen, die Fotos aus dem Wohnwagen.«
    »Zecchetto hat manchmal übertrieben, weil, der war immer ein Tier. Bei ihm im Kopf funktioniert es nicht richtig. Der war Wächter in so einem Übergangslager, wo sie die Marokkaner und Albaner reinstecken, und sogar da haben sie ihn rausgeworfen. Er hat sich von den Negerinnen kleine Gefälligkeiten erweisen lassen, im Tausch gegen Zigaretten, Telefonieren, oder ihnen auch die Aufenthaltsgenehmigung versprochen. Dem gefiel es, die Leute leiden zu sehen. Das war jedes Mal ein Krieg.«
    »Aber dir gefällt es nicht, die Leute leiden zu sehen?«
    »Ich möchte nur, dass immer die Abmachungen eingehalten werden. Aber manche Leute machen Probleme. Und bei denen erreichst du mit Worten nichts, Rosa.«
    »Und du hast nie Fehler gemacht?«
    (Ich will wissen, ob er es gewesen ist. Und ich will, dass er es mir sagt. Das schuldet er mir, verdammt.)
    »Ich? Ich habe viele Fehler gemacht. Ich bin voll von Fehlern. Das weiß ich, was glaubst du denn? Aber jetzt ist es halt so gelaufen, mein Leben. Ich bezahle dafür, oder? Ich habe nichts mehr. Bin abgehauen. Sie wollen mich umbringen. Du hast doch gesagt, dass ich eine wandelnde Leiche bin.«
    Wir schweigen beide, schauen auf den Tisch.
    »Aber ich mache fast keinen Fehler mehr, sieh mal.«
    Er legt seine Blätter wieder vor mich hin. Zaubert ein Lächeln von perfekter Arglosigkeit hervor, beinahe satanisch.
     
    Am Nachmittag scheint die Sonne ein bisschen, und wir gehen an den Fluss. Auf einer sandigen Landzunge mieten wir uns große rote Strandkörbe. Die Häuser,

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