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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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nicht mehr verstehe.
    Ich springe vom Bett auf und lege ein Ohr an die Wand. Scheint alles ruhig, auf der anderen Seite.
    Man hört nicht mal den Fernseher.
     
    Wir gehen den ganzen Vormittag durch die Modeabteilung eines Einkaufszentrums. Klimatisierte Räume, tausend Spotlights wie im Fernsehstudio und der Geruch nach neuem Mobiliar haben auf mich die Wirkung eines milden Analgetikums.

    Nach zermürbenden Verhandlungen überzeuge ich Cocíss, ein rosa Hemd mit Button-Down-Kragen und zwei Brusttaschen, drei Polohemden und Jeans ohne vorgebleichte Stellen und Risse zu kaufen.
    »Welchen, die so angezogen sind, habe ich die Unterhosen geklaut, als ich klein war.«
    »Jetzt hör mal.«
    »Den Studenten aus dem Viertel Forte Santo, na klar. Auch mal zweien oder dreien am Abend. Wir haben so getan, als wollten wir ihnen was zu rauchen verkaufen, und da waren dann nicht mal mehr Messer nötig. Die haben sich gleich vollgepisst und uns alles gegeben. Irgendwann hat es nicht mal mehr Spaß gemacht. Und dann hatten sie auch nicht so viel Geld. Vielleicht ein Handy, einen CD-Spieler, das schon.«
    »Jedenfalls musst du trotzdem wie einer von denen aussehen.«
    »Und du? Du musst dich auch ein bisschen verändern, oder?«
    Er versteift sich darauf, dass ich ein schwarzes Top und eine Hüfthose Modell Capri aus beigefarbenen Leder anprobieren soll. Aber ich sage ihm, dass sie meine Fesseln dicker machen und dass ich keine Fesseln wie ein Model habe.
    »Aber nein«, er will nicht nachgeben: »Glaub mir, da siehst du bestimmt klasse drin aus.«
    Ich glaube ihm nicht und probiere eine gerade geschnittene weiße Leinenhose und dann eine schwarze aus Baumwolle an. Beide gefallen mir, und auch er gibt zu, dass diese Modelle mir besser stehen.
    »Aber wenn du meine Meinung wissen willst, nimm die weiße.«
    »Warum?«
    »Gesäßtaschen ruinieren dir den Hintern«, meint er und flegelt sich auf eine Couch.
    (Und wer hat dich um deine Meinung gebeten?) Ich bedanke mich und ziehe den Vorhang zu.

    Wir kaufen ein Fußballtrikot von Hamburg und ein Paar Sportschuhe für jeden, dann zwingt er mich fast, ein Paar schwarze Sandalen mit für meinen Standard übertrieben hohen Absätzen zu nehmen. Zum Schluss gebe ich mich aus Erschöpfung geschlagen. Sie sind sündhaft teuer, aber egal.
    Wir essen eine Kleinigkeit im Einkaufszentrum.
    Er zieht Blätter mit dem Briefkopf des Hotels aus der Tasche, voller Flecken und irgendwie zusammengefaltet.
    »Ich hab heut Nacht geübt. Sieh mal.«
    Er hat sechs oder sieben Mal »Cocíss« geschrieben. Die Schrift ist wie von einem Erstklässler, aber er hat keinen einzigen Fehler gemacht.
    »Bravo. Alles richtig«, sage ich.
    »Und jetzt sieh dir das noch an.«
    Auf ein anderes Blatt hat er ein Dutzend Mal »Rosa« geschrieben. Zum ersten Mal sehe ich ihn ungeduldig auf meine Meinung, meine Anerkennung warten.
    »Sehr gut. Lass uns zurück ins Hotel gehen und dabei ein paar Übungen mit den Schildern machen.«
    »Ich lerne schnell.«
    »Das stimmt.«
    »Weil, wenn du nicht lesen und schreiben kannst, denken alle, du bist blöd.«
    »Das ist nicht das Problem.«
    »Und was ist dann das Problem?«
    »Es ist eine Störung.«
    »Von der Sorte, mit der du geboren wirst?«
    Soviel ich weiß, könnte er auch infolge der Verwahrlosung, in der er aufgewachsen ist, Legasthenie haben (ihn nicht bemitleiden, sonst wird er wütend). Oder sie geerbt haben, wenigstens als Prädisposition (da müsste man dringend gegensteuern).
    »Ich habe nicht das Gefühl, dass sie dich für blöd gehalten haben.«
    »Von den anderen in der Schule schon ein paar. Aber die hatten Angst, das zu sagen.«

    Er zuckt mit den Schultern, schaut in seinen Pappbecher.
    »Und wie hast du das gemacht, deine ganze …. Arbeit zu erledigen?«
    »Ich hatte da so mein System. Und außerdem: Je weniger einer schreibt, desto besser. Die Plätze, wo gedealt wird, weißt du, wie ich die kontrolliert habe? Mit Videohandys. Ich hatte fünf oder sechs, die zu beobachten. Und dann hatte ich die Uhren.«
    »Die habe ich gesehen. Mir ist aufgefallen, dass ein Zeiger immer auf zehn stand.«
    »Zehn Portionen auf einmal habe ich jedem gegeben, der für mich gearbeitet hat. Sie durften nicht zu viel haben. Mit dem anderen Zeiger habe ich mir gemerkt, wie viele sie bezahlt hatten, und ich habe mich nie vertan.«
    »Jede Uhr war ein Dealer?«
    »Ja, der Basketball, das war Fortunato, einer, der hundert Kilo wiegt.«
    »Und der Delfin?«
    »Das war einer, der

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