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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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nicht, was er tut, plötzlich spüre ich den Stich, direkt unter der rechten Brust.
    Ich frage mich nur, wie lange es dauern wird, dann spüre ich, wie er langsam nach unten geht. Zu langsam, ich will nicht leiden. Bitte, bitte. Er soll es zu Ende bringen, wenn er es zu Ende bringen muss.
    Stattdessen geht er langsam runter. Ich weiß nicht, wie weit. Langsam. Geht runter und hört dann auf.

    Er besieht sich, was er gemacht hat, und fängt dann wieder an, wählt einen bestimmten Punkt aus. So viel verstehe ich. Eine neue Schmerzenslinie reißt mir die Haut auf. Meine Kehle hat sich krampfartig zusammengezogen, als hätte man mir einen Saugnapf auf den Mund gesetzt.
     
    Er betrachtet mich vom Busen bis zum Gürtel, er sieht mich genau an und steht dann auf.
    Er zieht seine Haut knapp über der Brustwarze hoch. Schätzt sorgfältig etwas ein. Ich weiß nicht, was.
    Meine Zuckungen sind so stark, dass ich alles verschwommen sehe.
    Er denkt noch nach, dann fängt er an. Er ritzt sich mit derselben Scherbe eine Linie ein.
    Die Muskeln dehnen sich, ein breiter Strom Blut fließt aus dem Schnitt.
    Er geht wieder hoch, an den Anfang. Beschreibt so etwas wie einen Halbkreis. Die Hand ist jetzt weniger sicher. Schaum aus Speichel und Blut tritt ihm auf die Lippen. Doch er schließt den Halbkreis.
    Dann geht er schräg runter. Halt macht er unter dem Nabel.
     
    Aus dem Kreis tropft violettes Blut.
    Aus dem krummen Haken träufelt es langsam.
    Ein Pfeil nach oben. Cocíss teilt ihn in der Mitte, mit einem klaren Schnitt, zwischen den Rippen.
     
    Er lässt die Arme hängen, und ich lese meinen Namen, rot und furchtbar auf seiner Haut.
    Dann wirft Cocíss die Scherbe auf den Boden.
     
    Als er rausgeht und die Tür schließt, sehe ich mein Bild in den von seinem und meinem Blut beschmierten Scherben. Ich kämpfe, um die Augen offen zu halten, um zu sehen, was er mir angetan hat, spanne die Muskeln an und mache den Rücken krumm. Er hat mich mit Schnitten verunstaltet.

    Warum?
    Die Flecken sind rot und unregelmäßig, wie ein heftiger Hautausschlag.
    Er hat mich mit Schnitten verunstaltet. Mich zerstört, für immer gezeichnet. Wie sich selbst.
    Sich mit meinem Namen.
    Mich mit einem K.

4
     
     
    F rau Fischer betritt das Bad um zehn Uhr. Sie schreit nach ihrem Mann und bewegt sich über die Spiegelscherben und die Fliesen, die ich mit Urin überschwemmt habe, rutschend auf mich zu, um mich zu befreien.
    Herr Fischer will die Polizei benachrichtigen.
    Ich sage immer nur: »Ich bezahle alles, ich mache alles sauber.«
    Sie wollen auch einen Arzt rufen, wollen, dass ich mich wasche. Ich bin nicht bei mir, das weiß ich, aber ich denke nur daran, meine Reisetasche zu packen. Und das Geld zu finden.
    Cocíss hat es nicht genommen.
    Ich lege tausend Euro auf den Tisch und versichere ihnen, dass ich die Wohnung innerhalb einer halben Stunde verlasse.
    Aber keine Polizei. Keine Polizei, keine Polizei. Ich bin eine kaputte Schallplatte.
    Schließlich fange ich an zu weinen und ziehe Frau Fischer auf meine Seite (nicht ein Hauch von Würde ist mir geblieben, aber das ist jetzt auch schon egal).
    Herr Fischer bringt mich sogar ins Bad bei sich zu Hause, damit ich mich einigermaßen zurechtmachen kann. Die größten blauen Flecken habe ich auf Schenkel, Hüfte und Schulter. Im Gesicht nur einen, beim rechten Ohr. Ich decke ihn mit Schminke und einer Haarsträhne ab, doch man sieht ihn, und wie.

    Draußen auf dem Friedhof halten sie einen Gottesdienst im Freien ab, die bunten Schirme sehen wie Blumen aus.
    Regenrauschen auf den dunklen Dächern, der Himmel ist weiß. Die Alten ziehen durchs Dorf, gestützt auf Wägelchen mit einem Metallkorb für die Einkäufe.
     
    Cocíss hat sich das Auto genommen, als Erstes zeige ich den Diebstahl beim Autoverleih an. Den Wagen werden sie sicher finden; ihn wohl eher nicht.
    Eine Stunde lang bleibe ich auf einer steinernen Bank sitzen, vor einer hässlichen Kirche, deren Ziegel schwarz vor Feuchtigkeit sind. Ich sehe Cocíss wieder vor mir, wie er sich meinen Namen ins Fleisch schneidet, und ich schaffe es nicht, mich zu beruhigen.
    Zu Fuß setze ich meinen Weg zum Bahnhof fort. Der nächste Zug nach Hamburg geht in anderthalb Stunden. Ich trinke einen Kaffee und kaufe mir ein Ticket.
    Ich ziehe mich in ein Telefoncenter zurück, das von einem pakistanischen Paar betrieben wird. Die schallgedämmte Kabine ist mit Werbung für Moghul-Restaurants, Money Transfer, Reinigungsdienste, Begleitservice

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