Camorrista
schließe mich ins x-te Hotelzimmer ein, einsam und anonym wie all die anderen. Ich schlafe nicht viel, doch ich sehe wenigstens wieder passabel aus.
Ich vermeide es, mich vom Hals an abwärts im Spiegel zu betrachten. Auch wenn ich mich verarzte, senke ich kaum den Blick.
Am nächsten Morgen wird die Situation komplizierter. Der Flughafen Aberdeen ist wegen Nebels geschlossen, und ich muss in Edinburgh Station machen. Ich komme am späten Abend an, miete ein Auto und esse irgendwo etwas: eine Art grobe, gewürzte Wurst, aufgedunsen und grau wie der Bauch eines Ertrunkenen. Ich schlafe zwei Stunden auf dem Parkplatz des Flughafens, dann mache ich mich mitten in der Nacht auf den Weg.
Das Meer hat eine leichenblasse Farbe, doch die Wellen sehen aus wie Zuckerkrusten. Ich fahre weiter Richtung Norden, aus meinem Hunger wird langsam Übelkeit. Ich konzentriere mich darauf, links zu fahren, doch jedes Mal, wenn ich schalten will, stoße ich mit dem Ellbogen an die Tür.
Immer weiter nach Norden. Die Meilen sind Kilometer, die sich verlängern, als wären sie elastisch.
Aberdeen ist grau und dampft vor Nebel, wie eine glühende Fläche, die gerade nass geworden ist.
Ich fahre weiter an der Küste entlang, lasse den Hafen und die auf der Reede liegenden Schiffe hinter mir. Auf einer Werft ist eine Gruppe Männer mit der Arbeit an einem großen Schiffsgerippe beschäftigt, sie erinnern mich an Ameisen, die sich an einem Tierskelett zu schaffen machen.
Die A90 verläuft in zwanghafter Eintönigkeit, immer weiter, das Meer schlägt gegen eine lange schräge Barriere aus Beton. Die Scheibenwischer sagen Nein zu mir. Nein, nein. Nicht fahren. Umkehren. Halt an.
Wenn ich nicht so geschafft wäre, wenn ich noch einen klaren Gedanken fassen könnte, vielleicht würde ich dann umkehren.
Aber ich kann nicht. Wenn du erst alles verloren hast, kannst du nicht mehr aufhören zu suchen.
Vor mir steigt die Küste an. Hinter grünen Böschungen tauchen die Dächer von ein paar Häusern auf, Reihen weißer, unregelmäßiger Fassaden, wie verwahrloste Zahnreihen. Durch die Wolken über dem Meer dringt bleiches Licht. Noch weiter, wo der Dunst zerreißt, sehe ich es in der Ferne leuchten, und ich begreife, dass dort Bohrinseln sind.
Auf und ab geht es durch Hügel mit schlammiger Erde, hier und da von schwefelbraunen Sträuchern bewachsen. Nach einer Kurve, die mir in dieser Ödnis vollkommen überflüssig vorkommt, zeigt ein großes grünes Wappen aus Holz, das auf einem kleinen Steinhaufen steht, die Abzweigung nach Fyr Glennan an. Die drei Pfeile darunter sagen: Castle, Cottage, Golf Club.
Das Castle ist eine Ruine mit einer nahezu eingefallenen Einfriedungsmauer. Auf den welligen Grasteppich des Golf Clubs legt sich hin und wieder ein matter Sonnenstrahl, während der dünne Regen den Boden nie zu erreichen scheint. Ein freundlicher Herr in einem blauen Cordanzug macht mich darauf aufmerksam, dass sich der Parkplatz für Nichtmitglieder in der Nähe des Zauns befindet, auf einem schlammigen Gelände, über dem der Gestank aus den Ställen einer großen Reitbahn liegt.
Ich kehre zu Fuß zum Clubhouse zurück, wo ein anderer Typ, jünger, blonder und weniger freundlich, mir mitteilt, dass im Clubhouse ein strenger Dresscode gilt. Was heißt, dass ich mit meinen ausgebleichten Jeans und den Sportschuhen nicht hinein darf. Wirklich schade, dass die nächste Boutique hundert Kilometer von diesem Dreckskaff entfernt ist, sage ich, aber er zuckt nur mit den Schultern. Ich erkläre ihm, dass ich mit Miguel Angel Ferrera von der McDougall Catering sprechen muss, egal wo, und ich kann warten. Und er lässt mich warten. Eine halbe Stunde. Von seinem Büro aus betrachte ich verstohlen die Geländer aus dunklem Holz, die cremefarbenen Vorhänge und einen Kerzenleuchter, der vom Set eines jener Filme zu stammen scheint, in denen der Kerzenleuchter früher oder später herunterfällt. Auf einer grünen Tafel steht eine Liste der Mitglieder und der Corporate Members. Soweit ich es verstehe, sind das Firmen, die den Club durch die Mitgliedschaft einer gewissen Anzahl von Führungskräften sponsern. Neben der Bank of Scotland und der Polizei der Region Grampian Mountains sind es Ölgesellschaften, ein Unternehmen, das Northern Light heißt, und ein paar dieser unvermeidlichen Financial Consultings. Hier würde es meinem Bruder ganz gut gefallen, glaube ich.
Der Typ kommt zurück und sagt mir, dass die Verantwortlichen der McDougall
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