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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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helfen, kommt dann auf mich zu. Er stößt den Rauch mit einer Art unvermeidlichem Überdruss aus.
    »Ich habe Hunger«, sagt er.
    »Padre Jacopo bringt dir dein Abendessen aufs Zimmer. Ich lasse dich mit ihm allein, und ihr unterhaltet euch mal ein bisschen. Morgen früh stellt er dich allen anderen vor. Hier bleibst du nicht länger als eine Woche, glaube ich. Doch solange du da bist, respektierst du die Regeln, die alle anderen auch respektieren. Ich will keinen Ärger.«
    Er breitet die Arme aus.
    »Sieh mal, ich hab mit dem Dottor D’Intrò geredet, du kannst ganz beruhigt sein. Ich mache, was ihr mir sagt. Ich habe ihm mein Wort gegeben. Der Dottor D’Intrò ist in Ordnung, wir verstehen uns.«

    Ich denke mir, der entscheidende Beweis, dass der Hauptkommissar ein cooler Typ ist, einer, dem man vertrauen kann, war die supergeile Blondine, mit der wir ihn beim Shopping in Florenz gesehen haben.
    »Versuch mal zu verstehen, dass das Schutzprogramm noch nicht genehmigt ist, nicht mal das provisorische. Du hängst an einem seidenen Faden. Wenn du hier irgendeinen Scheiß baust, schreibe ich das in den Bericht, und du bist am Arsch.«
    Ich hoffe, dass wenigstens die letzten Worte klar bei ihm ankommen, doch ich merke, dass er abgelenkt ist. Ich will gerade aufstehen, da streckt er ein Bein aus. Ich lege die Hand auf meinen Rucksack. Instinktive Reaktion.
    Unter einem seiner goldenen Schuhe lugt ein spitzer, grasfarbener Stein hervor. Nur dass er sich bewegt. Cocíss hockt sich hin und drückt die Zigarette auf dem Kopf der Eidechse aus.
    Dann lässt er sie gehen und beobachtet, wie sie qualmt und sich wie von Sinnen zwischen den Steinen und dem Gras krümmt.
    »Sieh mal, wie sie springt«, lautet sein Kommentar.
     
    Ich frage ihn, ob er vor dem Abendessen duschen will.
    Seine Reaktion ist merkwürdig. Ich hätte erwartet, dass es ihn nervt, aber er scheint mir geradezu alarmiert. Wir gehen in sein Zimmer, und er nimmt gleich die Tasche vom Boden, kippt ihren Inhalt aufs Bett und fängt an, zwischen den bunten Beuteln und Tütchen aus dem Supermarkt herumzuwühlen.
    Ich überzeuge mich davon, dass er sich nicht ins Bad einschließen kann, zeige dann auf die offene Tür, und er geht schnell hinein, wobei er sich einen kleinen grauen Leinenbeutel mit einer Kordel vor die Brust hält.
    »Stopp«, sage ich. »Den will ich mir mal ansehen.«
    Ich lasse ihn den Beutel ins Waschbecken leeren. Shampoo, Haarbalsam, Duschcreme, Kraftspülung, Feuchtigkeitsgel für trockene Haut, Haarwachs. Aber hallo.

    Zum ersten Mal nimmt er die Sonnenbrille ab und sieht mich an. Genervt. Um die nadelkopfgroßen Pupillen liegt ein Ring aus leuchtendem Blau, chemisch, wie eine Gasflamme. Unter den Augen haben die beiden Narben seine Haut zu einem unentwirrbaren Nest aus Runzeln zusammengezogen. Durch diese beiden Schnitte sind ihm zusammen mit dem Blut zwanzig Lebensjahre weggetropft. Solche, die er schon gelebt hat, oder solche, die er vielleicht nicht mehr erlebt, wer weiß.
    »Kann ich jetzt duschen?«
    Ich schließe die Tür, ziehe die Kordel aus dem Beutel und vergewissere mich, dass das Leinen luftdurchlässig ist. Dann gehe ich in sein Zimmer und beseitige alle Plastiktüten (ich darf keinen Fehler mehr machen).
    Padre Jacopo trägt ein Tablett mit Käse und Wurst herein. In einer Papiertüte sind Brötchen, ein Glas, Plastikbesteck und Servietten. Ich kontrolliere alles, teile die Pille und löse die Vitamine in einem Glas Wasser auf.
    »Wie geht es ihm?«, fragt Padre Jacopo.
    »Besser. Wir geben ihm nur Taschen aus Leinen oder Papier, okay?«
    Der Padre nickt, dann setzt er sich. Er ist müde, von dieser demütigen Müdigkeit, die man sonst nur bei Müttern kinderreicher Familien sieht. Er nimmt die Brille ab, und ich sage ihm, dass die Papiere angekommen sind.
    »Er wird höchstens eine Woche hierbleiben«, füge ich zur Beruhigung hinzu. Für ihn und für mich.
    »Er wird die Regeln unseres Zentrums einhalten müssen.«
    »Ich habe Klartext mit ihm gesprochen.«
     
    Als Cocíss wieder ins Zimmer kommt, seine Sachen in die schmutzigen Kleider gerollt, trägt er nur die Sonnenbrille und eine blaue Hose, aus der das graue Gummiband seiner Unterhose hervorschaut. Er hat einen flachen Hintern, muskulöse Schultern und einen eingefallenen Brustkorb. Er dreht sich zum Padre um, niest, wirft alles aufs Bett und beklagt
sich dann, dass es ohne Plastiktüten ein Chaos ist und er nichts mehr findet. Ich sehe, dass er grüne und gelbliche

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