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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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Kühlschrank brummt vor sich hin. Ich stehe auf und setze mich auf den Teppich, das Notebook auf den gekreuzten Beinen.

    Wenn ich Lust hätte, mich bis zum Fenster zu schleppen, würde ich vielleicht sehen, dass der Himmel heller wird.
     
    Sie heißen mantellose Projektile. Sie heißen so, weil sie keine Umhüllung aus Metall haben, sie sind ohne full metal jacket , also keine Vollmantelgeschosse. Wenn man ein X in die Geschossspitze einschneidet, können Projektile beim Eindringen ins Ziel die Ummantelung verlieren. Doch das ist eine Arbeit für Experten.
    Beim Eindringen in den menschlichen Körper werden mantellose Geschosse aufgesplittert, und jedes Teilchen nimmt seinen eigenen Weg durch Gewebe und Adern.
    Die Geschossbahn von mantellosen Projektilen ist zumeist unvorhersehbar, erklären Ballistiker. Der Vorteil ist, dass sie, auch wenn aus der Nähe abgeschossen, schwerlich aus dem Körper austreten und nicht das Risiko eines Rückpralls besteht wie im Fall des Albaners.
    Nur selten hat man Glück, wenn einen ein mantelloses Geschoss trifft. Auch weil es leicht ist, einen solchen Schuss aus der Nähe abzugeben.
    Marco Sanvitale, zwanzig Jahre und drei Tage alt, hatte kein Glück, auch wenn die beiden Schüsse keine lebenswichtigen Organe getroffen haben. Es waren die vielen Splitter, die bei ihm die tödliche Blutung auslösten. Man fand ihn auf dem Rücken liegend auf einem Tischfußballspiel, die Hände noch an den Griffen. Der Ball war am Rande des Tors in einer dünnen Schicht klebrigen Bluts stecken geblieben. Sanvitale war Auszubildender in einer Firma für Thermo- und Sanitärtechnik. Er war nicht vorbestraft und kam aus einem kleinen Dorf im Hinterland. Selbst so erfahrene Leute wie D’Intrò und die Massacesi haben nicht verstanden, was ein solcher Mann mit der Fehde zwischen den Clans der Scurante und Incantalupo zu tun hatte.
    Mit ihm waren es am 13. April seit Beginn des Monats schon elf Mordopfer.
    Das zwölfte hat man im Kofferraum eines ausgebrannten
Autos gefunden, bei einem Sportplatz, der sich seit Ewigkeiten im Bau befindet.
    Laurino Costagrande war in meinem Alter und Inhaber eines Bekleidungsgeschäfts in der Via Gesualdo da Venosa, mitten im Zentrum, zwischen Gericht und Universität. Ein cooler Typ, ohne Vorstrafen, der für Diskotheken PR machte. Den Laden hatte er im großen Stil eröffnet: DJ mit Go-go-Girls, üppiges Büfett und zwei Schauspieler aus irgendeiner Soap, die das Band durchschnitten und Autogramme gaben. Aus vertraulichen Quellen war allerdings zu hören, er habe das Geld zur Eröffnung des Geschäfts mit Ecstasy gemacht, während andere behaupteten, er habe es vom wirklichen Chef der Discos, in denen er arbeitete, bekommen, nämlich von Saro Incantalupo, dem Boss ohne Gesicht, den man nicht zu fassen bekam. Offenbar kontrolliert er ganz Baia Nerva, lädt in seine Lokale die aktuellen Fernsehstars ein und betreibt über Tochtergesellschaften eine Fotoagentur, die immer auf der Jagd nach einem Scoop ist.
    In einem vor Ort abgefassten Kurzbericht heißt es, Costagrande sei in einer kauernden Haltung gefunden worden, an Händen und Füßen gefesselt, mit den Fußsohlen nach oben. Bei der Autopsie wurde kein Eindringen von Geschossen ins Gehirn festgestellt, was die Vermutung nahelegt, dass er noch lebte, als man ihn in den Kofferraum einschloss.
    Zwischen den Zeilen eines von D’Intrò unterzeichneten Dienstberichts kann man lesen, dass die Morde eine Form der Kommunikation sind. Primitiv, aber deshalb nicht ohne eine gewisse Komplexität. Ein grausamer Mord ist eine Antwort auf einen gravierenden Mangel an Respekt, der über die reine Fehde um die Aufteilung der Viertel und der Aufträge hinausgeht. Indem er Costagrande bei lebendigem Leib verbrennt, teilt Sergio Scurante den Incantalupo mit, dass er sie nicht mehr als würdige Gesprächspartner betrachtet, dass der Krieg total ist und dass es eines starken Vermittlers, der über den Parteien steht, bedarf, um die Fehde zu beenden.
    Nach dem Abschlachten zu urteilen, das zwischen dem
18. und 22. April losbricht, findet sich ein solcher Vermittler nicht an jeder Ecke.
    Gegen sechs Uhr dringen ein paar Geräusche aus der Außenwelt herüber, die langsam erwacht. Ein quietschender Fensterladen, ein aufheulendes Moped.
    Mir bleiben die Namen und Phantasie-Beinamen im Kopf. Für jeden von ihnen wird die Fehde blutige Realität. Einige sind verzerrte Gesichter von Fahndungsfotos oder aus Ausweisen. Ich sehe sie zum ersten

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