Camorrista
Mal, aber sie existieren schon nicht mehr. Laurino Costagrande jedoch steht hinter einem Mixer mit zwei schönen Mädchen, die etwas Bauchfreies tragen. Er hält sich einen Kopfhörer ans linke Ohr, grinst mit dem gierigen Ausdruck eines dieser Typen, die es geschafft haben, aus dem Dreck rauszukommen, oder vielleicht ist er nur zufrieden und ahnungslos, ich weiß es nicht. Was die Kartenlegerin Stefania Barone angeht, so war sie eine schmuckbehängte Matrone mit Strähnchenfrisur: Sie sieht mich unter zwei grässlichen, aufgemalten Augenbrauen aus einer ihrer zahllosen Anzeigen in wöchentlichen Klatschblättern an.
Nach ihrer Ermordung sind einige Kunden geradewegs zu ihren Töchtern gegangen und haben ihr Geld zurückverlangt. Leute, die im Laufe der Jahre zum Teil viele tausend Euro ausgegeben hatten und jetzt behaupteten, betrogen worden zu sein und den Beweis dafür zu haben. Wenn Stefania Barone wirklich die Zukunft vorhersehen konnte, wie konnte es dann sein, dass sie in Pantoffeln ihren Mördern entgegengegangen ist?
Schwer, etwas dagegen zu sagen.
Nach einem Bericht der Finanzpolizei waren diese Kunden nur verschwindend wenige, verglichen mit jenen, die Stefania Barone mit Krediten zu einem Zinssatz von monatlich zehn Prozent ruiniert hatte. Vielen von ihnen hatte sie selbst dazu geraten und Geld dafür geliehen, ein Restaurant oder eine Wäscherei zu übernehmen, Betriebe, die unter Garantie erfolgreich wären. Wenn allerdings trotz ihrer Hellsicht
die Geschäfte nicht so gut liefen, dass man die Zinsen zahlen konnte, kam Stefania Barone diesen armen Familien entgegen und übernahm alles für ein Butterbrot. Und das im Auftrag der Scurante, die Geld in den Markt zurückfließen ließen, indem sie im großen Stil Lizenzen sammelten.
Ich stoße auf Namen, die ich aus den Fernsehnachrichten kenne. Es sind Bilder, die man abends zusammen mit Salat und fettarmem Käse runterschluckt. Bilder, die schon verdaut sind, wenn der fettarme Käse in der Werbung in Zeitlupe auf den Salat gleitet. So schlägt man sich halt durch, sonst schafft es keiner. Weder die an ihrem Platz noch wir an unserem, die wir uns damit zufriedengeben, weit genug entfernt von diesem elenden Mist zu leben.
Doch für mich ist das jetzt anders. Jetzt ist es, als hätte man einen Keim dieser ganzen Infektion entkommen lassen, und Cocíss zu beschützen scheint mir eine Art gefährliches Experiment, von dem ich praktisch nichts weiß, obwohl ich bis zum Hals drinstecke.
Guarneri, mein Philosophieprofessor, war Italoargentinier. Heute weiß ich mit Sicherheit, dass ich in ihn verliebt war, wenigstens ein kurzes akademisches Jahr lang, dass ich mich hartnäckig geweigert habe, es mir einzugestehen, und dass das richtig war. (Ja, ich habe tatsächlich auch mal etwas richtig gemacht. Guarneri hat eine junge Doktorandin geschwängert und sie dann für einen Lehrauftrag in Brüssel sitzen lassen.)
Guarneri hatte seine Haut gerettet, weil er in derselben Nacht in ein Flugzeug nach Montevideo stieg, als vor seinem Haus ein grüner Ford Falcon ohne Nummernschild hielt, in dem drei Polizisten in Zivil saßen. Hin und wieder, sei es bei Tisch oder einem Symposion, zitierte er einen Ausspruch von jemandem, ich glaube, es war der Gouverneur von Buenos Aires. Mehr oder weniger lautete er, dass sie zuerst die Subversiven ausschalten würden, dann ihre Helfer, dann die Sympathisanten, danach die Gleichgültigen und zum Schluss die Ängstlichen.
Ich schätze, dass Laurino Costagrande vielleicht ein Helfer war, mindestens jedoch ein Sympathisant.
Aber Sabina Amatucci, zehn Jahre jünger als ich, war (anderthalb Monate lang) mit dem Bruder des Mannes der (jüngeren) Schwester von Sergio Scurante verlobt. Von Beruf Landvermesser und nicht vorbestraft.
Also, sage ich mir, war die Fehde am 24. April offiziell bei den Gleichgültigen angekommen.
Gut, dass Sabina Papiere bei sich hatte, anhand derer man sie gleich identifizieren konnte.
Ihren Kopf haben sie noch nicht gefunden.
Es ist fast sieben Uhr. Aus der Müdigkeit ist jetzt laue Schlaffheit geworden.
Die letzte Bluttat fand am 28. April statt, und an sie erinnere ich mich gut. Nicht nur weil sie die letzte war. Sondern auch weil bestimmte Dinge trotz allem nicht so schnell zu verwinden sind. Diese Tat geschah vor einem Restaurant mit dem Namen Happy Fish (was für ein Scheißname).
Das Happy Fish liegt am Corso Due Sicilie, einer der Arterien, durch die sich Tag und Nacht der Verkehr in
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