Camorrista
ruhig und duck dich.«
Ich würde am liebsten immer weiter fahren, nie mehr anhalten.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich hätte ihn dalassen und darauf scheißen sollen. Stattdessen blende ich auf, rase mit hundert Stundenkilometern auf die Gegenfahrbahn und halte das Steuer fest umklammert.
»Wo fahren wir hin?«
»Es hat ein Problem gegeben.«
»Was für ein Problem?«
»Sei still.«
»Und mach mir diese Scheißdrecksfesseln ab!«
Ich weiß nicht, wohin. Ich lasse mich nur von der Leere, die ich vor mir habe, weiterziehen, angesogen vom Meer, das hinter der Galerie der Platanen schimmert.
Ich sehe nicht einmal in den Rückspiegel.
Vielleicht folgen sie uns. Aber das ist mir egal.
Der Punkt ist, dass ich wirklich nicht zurückblicken kann. Keinesfalls. Und nie mehr.
Ich fahre die ganze Küstenstraße entlang, kehre dann auf die Autobahn zurück.
Cocíss ist plötzlich still geworden und ich bin im Leerlauf zwischen tausend Möglichkeiten und keinem Ausweg.
Ich begreife zu spät, dass die Stille mich hätte misstrauisch machen sollen. Ich begreife es, als ich den Gestank von verbranntem Plastik rieche und ein grauer Rauchfaden am Fenster aufsteigt.
Ich reiße das Steuer herum und fahre rechts ran, sobald es möglich ist, bremse scharf und nehme ihm das Feuerzeug ab. Auch der Ärmel aus Acryl ist angekohlt, während das Plastik der Handfesseln flüssig geworden und ihm auf einen Daumen gelaufen ist. Cocíss stößt einen Schrei aus, schlägt dann den Kopf zweimal gegen das Fenster.
Ich könnte die Pistole ziehen und sie ihm vor die Nase halten, doch das wäre ein Riesenfehler. Nicht vor der Peitsche sollen die Bestien Angst haben, sondern vor dem Dompteur (sonst verlässt er besser den Käfig, schloss mein Vater immer).
Und als ich an meinen Vater denke, kommt mir eine Idee. Jetzt muss ich sie nur noch dem da begreiflich machen.
»Hör mal: Wenn ich nur an das Gehalt denken würde, das ich bekomme, hätten sie dich schon umgebracht. Aber du hast verdammtes Schwein, dass es mir nicht gefällt, wenn Leute umgebracht werden. Egal wer, es gefällt mir nicht, und fertig, verstanden?«
»Was sagst du denn da?«
»Ich sage, dass ich dich jetzt in Sicherheit bringe. Dann muss ich herausfinden, was falsch gelaufen ist und warum, aber so lange hältst du dich bedeckt, ohne irgendeinen Scheiß zu bauen. Kriegst du das ein oder zwei Tage lang hin?«
»Wieso? Habe ich eine Wahl?«
»Nein.«
»Dann los. Fahren wir, wohin du willst. Aber jetzt machst du mir die Handfesseln ab oder ich trete dir dieses Scheißdrecksauto zu Schrott, hast du verstanden?«
Professor Guarneri hat mir einmal von dem Satz eines jungen italienischen Diplomaten berichtet, der ihn einen Monat
nach dem Putsch in dem mit Zivilpolizisten vollgestopften Konsulat von Buenos Aires empfing. »Ich weiß gut, was die Militärs tun. Doch ich kann nur helfen, wenn ich mir jeden Tag bewusst mache, dass sie nicht nur Mörder sind. Ich muss mir sagen, dass sie auch intelligent sind.«
Wo sich der Zubringer der Schnellstraße und der Abflusskanal kreuzen, biege ich nach rechts ab und fahre quer durch das flache Land auf die Hügel zu. Cocíss hat sich auf dem Sitz quasi zusammengekauert, sagt nichts, niest nur ab und zu.
Ich hoffe wirklich, dass der Diplomat recht hat. Denn meine einzige Hoffnung in diesem Moment besteht darin, dass Cocíss zeigt, dass er intelligent ist. Ich muss mich davon überzeugen, auch um den Preis, dass er als krimineller Bandenführer ein bisschen zu sehr glänzen kann.
Die Möbelfabrik liegt einen Kilometer vom nächsten bewohnten Ort entfernt, der außerdem nur aus einer Reihe kleiner Häuser längs der Straße besteht und nicht einmal einen Namen hat. In der Ferne, hinter einer Reihe Linden, ist eine alte Trockenanlage für Tabak, wo es heutzutage samstags Gesellschaftstanz und sonntags lateinamerikanischen Tanz gibt. Bis vor ein paar Jahren ist meine Mutter immer dorthin gegangen.
Es gibt noch Hinweisschilder und sogar ein Schild mit dem Firmennamen. Casarredo war der letzte Versuch meines Onkels, meinem Vater wieder auf die Beine zu helfen. Eher psychisch als ökonomisch. Es hat nicht funktioniert.
Ich fahre dort hinein, wo früher die Lieferantenzufahrt war, und halte neben einer veritablen Mauer aus Fernsehern und Computerbildschirmen. Irgendjemand ist auf den Gedanken gekommen, das heruntergekommene Gelände auf der Rückseite als Elektroschrottfriedhof zu benutzen.
Cocíss sieht sich
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