Camping-Daggys letzter Kunde ROTE LATERNE ROMAN Band Nr. 4 (German Edition)
verheiratet, Monsieur«, meinte sie daraufhin. »Dafür bin ich da. Und im Grunde ist es mir gleich, ob ein Mann ledig oder gebunden ist. Es ist mein Gewerbe, denn ich lebe davon. Ich kann auf diese Dinge keine Rücksicht nehmen. Sie verstehen?«,
Er nickte.
»Darf ich Sie morgen Nachmittag um vier Uhr von hier abholen lassen?«,
»Morgen um vier also!« Daggy wollte ihm die Hand reichen. Doch er schüttelte den Kopf.
»Es gibt Bedingungen, die ich zu stellen habe«, fuhr er fort. »So wie Sie jetzt aussehen, dürfen Sie nicht zu mir kommen ...«
»Ach, ich bin zu hässlich?«, Sie lachte. Es war ein burschikoses Lachen, hinter dem sich aber eine gewisse Dramatik verbarg.
»Im Gegenteil, Mademoiselle, Sie sind zu hübsch«, sagte der sonderbare Franzose zu Daggys Überraschung. »Tragen Sie bitte eine helle Perücke, darüber besser noch ein Kopftuch. Und vergessen Sie bitte nicht, eine Sonnenbrille aufzusetzen. Sie soll möglichst so dunkel sein, dass man Ihre Augen nicht erkennen kann!«
Daggy sah in staunend an.
»Aber wozu das alles, Monsieur?«, murmelte sie verständnislos. »Ich verstehe nicht.«
»Sie werden es morgen verstehen. Pünktlich um vier wird Sie am Tor der Hauptstraße ein Wagen abholen. Der Fahrer heißt Jean. Er ist schweigsam. Stellen Sie keine Fragen, Mademoiselle. Er wird sie Ihnen nicht beantworten.«
»Aber ich...
»Sie können ablehnen!«
»Nein, nein«, murmelte Daggy. Sie war völlig verwirrt. »Es ist schon gut!«
Er öffnete die Tür. Die Nacht war lau. Ein herber Wind strich vom nahen Meer in den Garten und rauschte durch die mächtigen, alten Palmen. Drüben im Lokal erklangen Schlager.
»Monsieur?«,
»Ja, bitte?«,
»Sie haben vergessen, mir Ihren Namen zu nennen!«
»Meinen Namen erfahren Sie morgen. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Mademoiselle Daggy!«
Seine hohe Gestalt verschwand zwischen Bäumen und Sträuchern. Nach einer Weile hörte Daggy, dass oben an der Hauptstraße der Motor eines schweren Wagens gestartet wurde, dessen Geräusche sich entfernten und schließlich in Richtung Cannes verklangen.
Die junge Dirne stand noch eine Zeitlang wie betäubt unter der niedrigen Tür des Wohnwagens. Schließlich näherten sich Schritte vom Haus her. Sie erkannte Yvonne, die sich für den Abend fertiggemacht hatte.
»Ist er schon gegangen, Cherie?«,
»Oui, Yvonne«, flüsterte Daggy. Ihre Stimme klang schwach. Daggy nahm sich rasch das Kleid für den Abend. Ihre Kosmetiktaschen hatte sie ohnehin drüben in Madames »Badezimmer« liegen, in dem sie sich fertigzumachen pflegte. Gemeinsam mit der Wirtin ging Daggy ins Haus.
»Du bist sonderbar, Cherie«, meinte Yvonne verwundert. Ihr Bass dröhnte. »Ist etwas Besonders geschehen?«,
»Nein, mein Herz, nichts von Bedeutung. Nur das Übliche!«
Luzie saß an diesem Abend in ihrem Zimmer und bereitete sich für ihrer. Auftritt vor. Hinter der millimeterdicken Schicht von Puder und Schminke verbarg sich Angst. Angst, die man nicht sehen konnte.
Luzie hatte einen Brief aus dem Gefängnis bekommen, der ihr diese Angst eingejagt hatte. Jean hatte geschrieben. Jean, den sie einmal so sehr geliebt hatte. Doch keiner im 'La voile d'or' wusste, dass Luzie ihren Geliebten ins Gefängnis gebracht hatte.
Noch einmal nahm sie sich den Brief vor. Es handelte sich um einen Kassiberbrief, ein illegal aus dem Gefängnis gebrachtes Papier. Das Blatt war fleckig, trug aber unverkennbar Jeans grobe, schwere Schriftzüge.
»Wir sehen uns bald, Cherie«, las Luzie halblaut. »Sortiere deine Knochen rechtzeitig. Ich weiß noch nicht, wo du bist. Aber ich werde dich finden. Noch bin ich hier. Doch auf bald, mein Herzchen. In Liebe, Jean!«
Beim Klopfen zuckte Luzie zusammen. Ein eisiges Gefühl raste von der Brust bis zum Magen.
Doch es war Madame.
»Sag' mal, Luzie, willst du eigentlich nicht herunterkommen?«, wetterte Yvonne los. »Wofür, glaubst du, wirst du bezahlt?«
»Yvonne, ich habe Angst!«
Madame lachte dröhnend. »Du und Angst? Nein, mein Herz, komm mir nicht mit dieser Tour. Unten sind Gäste. Man will dich sehen. Und ich ...«
»Lies das bitte!«
Luzie reichte ihr den fleckigen Brief. Die Frau las. Dann erst setzte sie sich.
»Auch das noch«, stöhnte sie. »Was hast du nur getan, dass er dir so drohen kann? Jean liebt dich doch. Ich verstehe das nicht!«
»Nein?« Luzie hatte Tränen in den Augen. Dann griff sie zum Schwamm, mit dem sie sich abzuschminken pflegte. Gelassen wischte sie sich die Maske aus
Weitere Kostenlose Bücher