Camping-Daggys letzter Kunde ROTE LATERNE ROMAN Band Nr. 4 (German Edition)
verbergen. Im Grunde war Yvonne Dupont eine gute Schauspielerin. Doch das hatte ihr auf ihrem Lebensweg nicht weitergeholfen.
Bisher hatte sie ihr Etablissement geführt, so gut es ging. Nun war plötzlich etwas aufgetaucht, das alles zu bedrohen schien. Dieser Sommer war anders als die vielen Sommer, die diesem vorausgegangen waren.
Daggy unterhielt sich mit einem ihrer Kunden. Die junge Dirne kannte viele ihrer Kunden nicht mit Namen, denn Diskretion war eines ihrer obersten Gebote. Das war wohl auch der Grund, weshalb Herren der sogenannten guten Gesellschaft das Mädchen Daggy bevorzugt aufsuchten, obwohl es in Cannes eine ganze Reihe geschäftstüchtiger Callgirls gab.
»Was sagten Sie, Monsieur?«, fragte Daggy schon zum zweiten Mal.
»Ich sagte, dass ich Sie gerne mal zu mir einladen würde«, antwortete der Herr.
»Private Einladungen nehme ich grundsätzlich nicht an«, erwiderte Daggy mit einem sanften Lächeln. »Das habe ich Ihnen schon sehr oft gesagt, Monsieur. Außerdem sind Sie verheiratet, wie ich weiß. Und mir liegt es absolut nicht, von einer Ehefrau an die Luft gesetzt zu werden!«
Der gutaussehende Mann in den hohen Vierzigern senkte den Kopf. Das dunkle Haar zeigte an den Schläfen einen leichten Silberschimmer.
»Meine Frau wohnt nicht bei mir«, erklärte er schließlich. »Wir haben uns schon vor Jahren getrennt. Ich meine - es ist ja so, dass ...«
»Private Dinge sind nicht wichtig für mich, Monsieur. Sie haben keinen Grund, sich bei mir zu entschuldigen. Was Sie tun, ist allein Ihre Sache.« Sie lächelte ihn liebenswürdig an. So wie sie das sagte, meinte sie es auch. Sie war ehrlich, und diese Ehrlichkeit hatte ihr nicht selten Ärger eingebracht.
»Um es genau zu sagen, Mademoiselle Daggy, ich liebe Sie.«
O Gott, schon wieder einer, dachte Daggy erschrocken. Bei diesem Gedanken ging es ihr so wie ihrem Kater Dagobert, wenn ihm ein großer Hund zu nahe kam. Dagobert warf sich dann in Abwehrposition, fuhr die Krallen aus und begann zu fauchen. Auch Daggy ging jetzt in Abwehrposition.
»Mich lieben viele, Monsieur«, antwortete Daggy ohne Überlegung tu- hig. »Aber ich liebe keinen.«
»Man kann doch nicht ganz ohne Liebe leben, Mademoiselle!«
»Wie Sie sehen, kann man doch, Monsieur«, entgegnete das Mädchen nun etwas gereizt. Sie liebte solche Gespräche nicht. Sie hatte Angst davor, sich zu verlieben. Blitzartig schoss ihr das heutige Erlebnis wieder durch den Kopf. Sie musste an den Fremden denken, der ihr im Wohnwagen dieses merkwürdige Angebot unterbreitet hatte. Deutlich, allzu deutlich sah Daggy die melancholischen und doch so wachen Augen des Franzosen vor sich. Augen, die Gefahr für sie bedeuteten.
Sie nahm den letzten Schluck aus ihrem Glas.
»Ich habe heute nicht besonders viel Zeit, Monsieur«, sagte sie schließlich leise und höflich. »Wenn Sie bitte mitkommen wollen?«
Er zögerte.
»Monsieur, ich sagte, dass ich nicht viel Zeit habe. Außerdem werde ich mich nicht mehr lange in dieser Gegend aufhalten. Ich reise bald ab!«
»Wann?«
»Wahrscheinlich schon übermorgen!«
Er seufzte. Dann ging er hinter ihr her. Irgendwie tat ihr leid, dass sie ihm nicht helfen konnte ...
Unterdessen wachte Yvonne mit Argusaugen über ihre Mädchen. Es gab ja nur noch drei: Luzie, Juliette und die farblos wirkende Jeanne, die in ihren Bewegungen noch immer linkisch und scheu wirkte.
Heute aber war mit Jeanne etwas anders. Das blonde Mädchen wirkte nervös und sehr unruhig. Jeanne hatte einen Freund, den Madame nur flüchtig kannte. Zwei- oder dreimal hatte ihn die Lokalbesitzerin zu Gesicht bekommen.
An diesem Abend tauchte er wieder auf. Yvonne wusste, dass er sich Louis nannte. Er war groß, breitschultrig und hatte ein animalisches Gesicht, das von Narben entstellt war. Die Unterlippe hing etwas wulstig herab und bekräftigte den finsteren Eindruck, den man von diesem merkwürdigen Mann gewann. Unter buschigen Brauen flackerten gehetzte, lauernde Blicke aus dunklen, tiefgründigen Augen. Blicke, die einen in Angst und Panik versetzen konnten.
Yvonne verstand nicht, wie die hübsche Jeanne diesen Mann lieben konnte. Doch vielleicht war es keine Liebe? Am Ende war es ein Verhältnis jener Art wie Luzie mit Jean? Dieser Umstand flößte Madame Furcht ein und ließ sie noch wachsamer werden.
Daggy war mit dem Mann noch nicht zurückgekehrt. Luzie hatte sich nach dem Auftritt gleich wieder in ihr Zimmer verkrochen und die Tür von innen verriegelt. Nun
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