Camping-Daggys letzter Kunde ROTE LATERNE ROMAN Band Nr. 4 (German Edition)
nicht!«
»Aber ich, du Mistsocken!«, keuchte der Kerl. Brutal ergriff er Yvonne bei den Schultern und schüttelte sie. Das kostet ihn allerhand Mühe, denn die Frau bewies ein unglaubliches Stehvermögen. »Ihr habt mich reingelegt! Was wollte diese kleine Nutte vorhin auf dem Gang?«,
»Ach, Sie meinen Daggy?«,
»Wie das Aas heißt, ist mir egal!«, brüllte er nun unbeherrscht. Die namenlose Ruhe der Barbesitzerin erfüllte ihn mit unvorstellbarer Wut. »Ihr habt ein gemeines Spiel getrieben! Ich habe Euch gewarnt! Nun gehst du über die Schaufel! Und die da drin ebenfalls!« Er wies mit dem Daumen in die Richtung zu Jeannes Zimmer.
»Stehenbleiben, Louis!«
Eine harte, kalte und doch schwache Stimme, die eisiges Grauen in den Raum legte. In der Tür zu Luzies Zimmer stand Jeanne in bezaubernder Nacktheit. Doch ihre Hände hielten Louis' Revolver. Es waren ruhige Hände, die das kühl glänzende Metall auf den Mann richteten. Jeannes Augen zeigten noch den Ausdruck eines Menschen, der unter Drogeneinfluss steht. Sie waren glasig und doch trübe, andererseits von wachsamer Schärfe und kristallener Härte.
»Jeanne, Cherie, mach doch keine Geschichten«, röchelte Louis. Er machte einen Schritt vorwärts.
»Stehenbleiben!«, kommandierte Jeanne eisig. »Es ist vorbei, Louis. Jetzt wirst du sterben!«
»Mon Dieu, Jeanne!«
»Ruf nicht nach Gott, das hättest du früher tun sollen. Du stirbst durch Menschenhand, wie viele vor dir durch deine Hand gestorben sind!«
Diese Stimme war von einer heftigen Entschlossenheit geprägt, aus der schon jetzt die Vollendung der Tat hervorzugehen schien.
»Jeanne!«,schaltete Yvonne sich ein.
Da peitschte der Schuss.
Louis schrie, denn sie hatte ihn nicht tödlich getroffen. Wie ein Tier kam er auf sie zugekrochen. An der Schulter erschien ein dunkelroter, zunehmend größer werdender Fleck.
»Hure!«, keuchte er. »Verfluchte, verdammte Hure!«
Jeanne lachte irr auf. Dann drückte sie noch einmal ab. Der Revolver entfiel den kraftlosen Händen. Louis rührte sich nicht mehr. Nun wich der glasige Schimmer aus Jeannes Augen. Sie machte einen unsicheren Schritt nach vorn.
»Louis?«, fragte sie. Ihre Stimme war erfüllt von der Ängstlichkeit eines fragenden Kindes und vom Entsetzen vor dem Teufel im eigenen Ich. »Louis bist du tot?«
Yvonne schluchzte auf. Sie erkannte die ungeheure Tragik, die sich hinter den hilflos gemurmelten Worten des nackten Mädchens verbarg. Sie nahm Jeanne in die Arme.
»Sei ganz ruhig, ma Cherie, ich muss die Polizei anrufen!«
»Ruf sie, Yvonne, dann ist es vorbei«, flüsterte Jeanne unter aufsteigenden Tränen. »Ich habe ihn doch so sehr geliebt und nun habe ich ihn erschossen. Einfach erschossen, Yvonne. Oh, ich bin so unglücklich! Ich will nicht mehr leben!«
Sie starrte ihren makellosen Körper an, der nun mit dem Blut eines anderen besudelt war. Das Grauen schien sie zu überrollen wie eine feurige Woge. Sie stolperte auf den Gang zur Toilette und übergab sich. Danach brachte Yvonne das Mädchen in sein Zimmer zurück, legte es auf das Bett und deckte es zu.
Dann tat Yvonne, was sie tun musste. Sie rief die Polizei. Es war ihr zwar alles sehr unangenehm, doch sie hatte schon unangenehmere Situationen durchstanden als diese. Sie betete um gnädige Richter für das arme Mädchen, das dort oben auf dem Bett lag und sich in seiner eigenen Welt nicht mehr zurechtfinden konnte.
*
Nachdem Dagmar aus Nizza zurückgekehrt war, erlebte sie fast die alte Ruhe in der Stripteasebar. Madame erzählte ihr rasch, was geschehen war. Sie vermochte die Dinge nur zu umreißen. Die Gefahr für Luzie war noch nicht aus der Welt geschafft. Jedoch befand sich Luzie zur Stunde in einem guten Hotel in Nizza. Daggy hatte dafür gesorgt, dass sie unter einem anderen Namen eingetragen wurde. Das beruhigte und gab ein wenig Sicherheit.
Dann zeigte sich die Erschöpfung in Yvonnes Gesicht. Durch die Schminke hindurch vermochte man die Falten der Anstrengung zu erkennen, die Spuren eines bewegten Lebens, das nun deutlich zum Vorschein kam.
Auch Daggy war müde und erschöpft. Auf der Fahrt nach Nizza hatte sie ungeahnte Ängste ausgestanden. Und diese Angst war noch immer nicht verflogen. Ganz im Gegenteil. Sie verfestigte sich durch das bevorstehende Erlebnis. Dagmar Conradi fürchtete sich vor dem kommenden Morgen, an dem sie abgeholt und zu diesem schönen fremden Mann gebracht werden sollte. Hatte er etwas mit dieser ganzen Sache zu tun?
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