Camus, Albert
revolutionären Regierungen sind fast immer gezwungen, Kriegsregierungen zu sein. Je ausgedehnter die Revolution ist, umso beträchtlicher ist der Einsatz des Krieges, den sie voraussetzt. Die Gesellschaft nach 1789 will sich für Europa schlagen, diejenige aus dem Jahre 1917 schlägt sich für die Weltherrschaft. Die totale Revolution beansprucht am Schluss, wir werden sehen, weshalb, das Weltreich.
Bis es so weit ist, falls es so weit kommen soll, ist die Geschichte der Menschheit in gewissem Sinn die Summe ihrer aufeinanderfolgenden Revolten. Mit anderen Worten, die Bewegung der Überführung, ein klarer Ausdruck im Raum, ist in der Zeit nur eine Annäherung. Was man im 19. Jahrhundert fromm die fortschreitende Emanzipation des Menschengeschlechts nannte, erscheint von außen gesehen eine ununterbrochene Folge von Revolten, die sich überholen und ihre Form in der Idee zu suchen streben, aber noch nicht bei der endgültigen Revolution angelangt sind, die im Himmel und auf Erden alles befestigen würde. Eine oberflächliche Prüfung würde eher als auf eine wirkliche Emanzipation auf eine Selbstbehauptung des Menschen schließen, eine immer erweiterte, doch nie vollendete Selbstbehauptung. Gäbe es in der Tat ein einziges Mal eine Revolution, so gäbe es keine Geschichte mehr. Es gäbe eine glückliche Einheit und einen gesättigten Tod. Deshalb zielen alle Revolutionäre letzten Endes auf die Einheit der Welt und handeln so, als glaubten sie an die Vollendung der Geschichte. Die Originalität der Revolution des 20. Jahrhunderts liegt darin, dass sie zum ersten Mal den alten Traum Anacharsis Cloots, die Einheit des Menschengeschlechts, offen zu verwirklichen strebt und gleichzeitig die endgültige Krönung der Geschichte. Dadie Bewegung der Revolte ins ‹Alles oder nichts› überging, da die metaphysische Revolte die Einheit der Welt verlangte, forderte die revolutionäre Bewegung des 20. Jahrhunderts mit den Waffen in der Hand die historische Ganzheit. Die Revolte wird nun aufgefordert, wenn sie nicht nutzlos werden und verjähren will, revolutionär zu werden. Es handelt sich für den Rebellen nicht mehr darum, sich selbst zu vergöttlichen, wie Stirner, oder in der bloßen Haltung das Heil zu suchen. Es handelt sich darum, die Gattung zu vergöttlichen, wie Nietzsche, und sein Ideal des Übermenschentums zu übernehmen, um nach dem Wunsch Iwan Karamasows das Heil aller zu sichern. Die Besessenen betreten zum ersten Mal die Bühne und erhellen eines der Geheimnisse der Zeit: die Identität von Vernunft und Machtwillen. Da Gott tot ist, muss man die Welt mit den Kräften des Menschen ändern und neu organisieren. Die Kraft der Verfluchung allein genügt nicht mehr, es bedarf der Waffen und der Eroberung des Ganzen. Die Revolution, auch die, vor allem die, welche materialistisch zu sein vorgibt, ist nur ein maßloser metaphysischer Kreuzzug. Aber ist die Ganzheit die Einheit? Das ist die Frage, die dieser Essay beantworten will. Man sieht ein, dass es sein Anliegen nicht sein kann, eine hundertmal wiederholte Beschreibung des Phänomens der Revolution zu geben, oder einmal mehr die historischen und wirtschaftlichen Gründe der großen Revolutionen durchzugehen. Es besteht vielmehr darin, in einigen revolutionären Tatsachen die logische Folge, die Illustration und die unveränderlichen Themen der metaphysischen Revolte aufzuzeigen.
Die meisten Revolutionen gewinnen ihre Form und Originalität durch einen Mord. Alle, oder fast alle, sind menschenmörderisch. Doch einige haben darüber hinaus den Königs- oder den Gottesmord begangen. Wie die Geschichte der metaphysischen Revolte mit Sade beginnt, so beginnt unsereigentliches Thema mit den Königsmördern, seinen Zeitgenossen, welche die Verkörperung Gottes angreifen, ohne zu wagen, das Prinzip des Ewigen zu töten. Aber zuvor zeigt uns die Geschichte der Menschheit das Entsprechende der ersten Bewegung der Revolte, diejenige der Sklaven.
Wo der Sklave gegen seinen Herrn rebelliert, erhebt sich ein Mensch gegen den andern auf der grausamen Erde, fern vom Himmel der Prinzipien. Das Ergebnis ist bloß die Ermordung eines Menschen. Die Sklavenaufstände, die Jacquerie, die Geusenkriege und Bauernerhebungen stellen ein Prinzip der Gleichwertigkeit in den Vordergrund, Leben gegen Leben, das man trotz aller Kühnheiten und Mystifikationen in den reinsten Formen revolutionären Geistes wiederfindet, im russischen Terrorismus von 1905 beispielsweise.
Der
Weitere Kostenlose Bücher