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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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damit die Revolte die Welt nicht entzweischneidet, damit der Schmerzauch den Himmel gewinnt und ihn dem Fluch der Menschen entreißt. Wen erstaunt es, dass der revolutionäre Geist, der darauf die Trennung des Himmels von der Erde bekräftigen wollte, damit angefangen hat, die Gottheit zu entkörpern, indem er seine Stellvertreter auf Erden tötete? 1793 endet in gewisser Weise die Zeit der Revolte und beginnt diejenige der Revolution, auf einem Schafott. 30

Die Königsmörder
    Man hat schon vor dem 21. Januar 1793 Könige getötet, und schon vor den Königsmördern des 19. Jahrhunderts. Aber Ravaillac, Damiens und ihre Nachahmer wollten die Person des Königs treffen, nicht das Prinzip. Sie wünschten einen andern König oder nichts. Sie dachten nicht daran, dass der Thron immer leer bleiben könnte. 1789 steht an der Schwelle der Neuzeit, denn die Menschen wollten damals unter anderem das Prinzip des göttlichen Rechtes umstürzen und in die Geschichte die Kraft der Verneinung und der Revolte einführen, die sich in den geistigen Kämpfen der vergangenen Jahrhunderte gebildet hatte. So haben sie dem traditionellen Tyrannenmord einen vorbedachten Gottesmord hinzugefügt. Das sogenannte freigeistige Denken der Philosophenund Juristen diente dieser Revolution als Hebel. 31 Damit dieses Unternehmen möglich wird und sich im Recht fühlt, musste zuerst die Kirche, und das ist ihre unendliche Verantwortung, mit einer Bewegung, die sich in der Inquisition entfaltet und sich fortsetzt in der Komplicenschaft mit den zeitlichen Mächten, sich auf die Seite der Herren stellen und auf sich nehmen, Schmerz zuzufügen. Michelet täuscht sich nicht, wenn er nur zwei große Gestalten in der revolutionären Epopöe sehen will: das Christentum und die Revolution. 1789 erklärt sich seiner Meinung nach durch den Kampf der Gnade mit der Gerechtigkeit. Obwohl Michelet, wie sein ausschweifendes Jahrhundert, eine Vorliebe für große Begriffe hat, sah er hier einen der tiefen Gründe der revolutionären Krise.
    Wenn auch die Monarchie des Ancien Régime beim Regieren keineswegs immer willkürlich verfuhr, so war sie doch unbestreitbar eine Willkürherrschaft in ihrem Prinzip. Sie war von Gottes Gnaden, d. h. ohne höhere Instanz, was ihre Legitimität betrifft. Diese wurde jedoch oft bestritten, insbesondere von den Parlamenten. Aber die, welche sie ausübten, betrachteten sie und stellten sie dar als ein Axiom. Ludwig XIV. hielt unerschütterlich an diesem Prinzip fest. 32 Bossuet unterstützte ihn darin, der den Königen sagte: «Ihr seid Götter.» Unter einem seiner Aspekte erschien der König als der von Gott mit den zeitlichen Geschäften, also der Gerechtigkeit Beauftragte. Wie Gott selbst, ist er die letzte Instanz derer, die Elend und Ungerechtigkeit leiden. Das Volk kannim Prinzip gegen die, welche es bedrücken, an den König appellieren. «Wenn der König, wenn der Zar wüsste …» ist in der Tat der häufig gehörte Ausdruck in Zeiten des Elends des französischen oder russischen Volkes. Es ist wahr, dass in Frankreich zumindest die Monarchie, wenn sie davon wusste, oft versuchte, das niedere Volk gegen die Bedrückung der Großen und der Bürger zu schützen. Aber war das Gerechtigkeit? Nein, vom absoluten Standpunkt aus, den damals die Schriftsteller einnahmen. Wenn man auch an den König appellieren kann, so kann man es nicht gegen ihn, als Prinzip. Er spendet seine Unterstützung und seine Hilfe, wenn er will und wann er will. Das ‹Bon plaisir› ist eines der Attribute der Gnade. Die Monarchie in ihrer theokratischen Gestalt ist eine Regierungsform, die über die Gerechtigkeit die Gnade stellen will, ihr stets das letzte Wort lassend. Das Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars hat dagegen nur die eine Originalität, Gott der Gerechtigkeit zu unterwerfen und so, mit der ein bisschen naiven Feierlichkeit der Zeit, die zeitgenössische Geschichte zu eröffnen.
    Sobald in der Tat das freiheitliche Denken Gott in Frage stellt, rückt es das Problem der Gerechtigkeit in den Vordergrund. Die Gerechtigkeit verschmilzt dann schlechtweg mit der Gleichheit … Gott wankt, und um sich in der Gleichheit zu behaupten, muss die Gerechtigkeit ihm den letzten Streich versetzen, indem sie seinen Stellvertreter auf Erden direkt angreift. Dem göttlichen Recht das Naturrecht gegenüberzustellen und es zu zwingen, sich mit ihm drei Jahre lang, von 1789 bis 1792, zu vertragen, heißt schon es zerstören. Die Gnade kann sich als letzte

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