Camus, Albert
und die Identität seiner Natur mit der Vernunft aufleuchten lassen. Und wenn die Klüngel diesen Traum hemmen wollen, wird die Leidenschaft ihre Logik auf die Spitze treiben. Man wird dann nicht denken, da es Klüngel gäbe, seien die Prinzipien im Unrecht. Die Klüngel sind verbrecherisch, weil die Prinzipien unantastbar bleiben. «Es ist Zeit, dass jedermann zur Moral zurückkehrt, und die Aristokratie zum Terror.» Die aristokratischen Klüngel sind jedoch nicht die Einzigen, man muss mit den republikanischen rechnen und mit all denen, die die Tätigkeit der Legislative und des Konvents kritisieren. Auch sie sind schuldig, da sie die Einheit bedrohen. Saint-Just verkündet nun das große Prinzip der Tyranneien des 20. Jahrhunderts. «Patriot ist, wer die Republik als Ganzes unterstützt, wer sie in Einzelheiten bekämpft, ist ein Verräter.» Wer Kritik übt, ist ein Verräter, wer nicht sichtbar die Republik unterstützt, ein Verdächtiger. Wenn es weder der Vernunft noch dem freien Ausdruck der Einzelnen gelingt, die Einheit systematisch zu begründen, muss man sich entschließen, die Fremdkörper wegzuschneiden. Das Fallbeil wird so zum Vernünftler, seine Aufgabe ist es, zu widerlegen. «Ein Schurke, den das Gericht zum Tod verurteilt hat, sagt, er wolle der Unterdrückung Widerstand leisten, denn er setzt sich gegen das Schafott zur Wehr!» Diese Entrüstung Saint-Justs ist schwer verständlich, denn alles in allem war das Schafott vordem gerade das sichtbarste Zeichen der Unterdrückung. Aber innerhalbdieses logischen Wahnwitzes, am Ende dieser Tugendmoral ist das Schafott die Freiheit. Es sichert die rationale Einheit, die Harmonie des Staats. Es reinigt, das Wort trifft es genau, die Republik, es beseitigt die Missbildungen, die dem Gesamtwillen und der allgemeinen Vernunft widersprechen. «Man streitet mir den Titel Philanthrop ab», ruft Marat in einem ganz andern Stil aus. «Ah, welche Ungerechtigkeit! Wer sieht denn nicht, dass ich eine kleine Zahl Köpfe abschneiden will, um eine große Zahl zu retten?» Eine kleine Zahl, ein Klüngel? Zweifellos; jede geschichtliche Tat kostet diesen Preis. Aber Marat forderte nach seiner letzten Berechnung 273 000 Köpfe. Aber er kompromittierte die therapeutische Seite der Operation, als er zum Massenmord aufrief: «Zeichnet sie mit einem glühenden Eisen, schneidet ihnen die Daumen ab, schlitzt ihnen die Zunge auf.» So schrieb der Philanthrop mit dem monotonsten Vokabular, das sich denken lässt, Tag und Nacht über die Notwendigkeit, zu töten, um neu zu erschaffen. Er schrieb noch in den Septembernächten bei Kerzenlicht zuunterst in seinem Keller, während die Schlächter im Hof unserer Gefängnisse die Zuschauerbänke aufstellten, rechts für die Männer, links für die Frauen, um ihnen als anmutiges Beispiel von Menschenfreundlichkeit die Abschlachtung unserer Aristokraten vorzuführen.
Wir wollen auch nicht eine Sekunde die großartige Gestalt eines Saint-Just mit dem traurigen Marat vermengen, dem Affen Rousseaus, wie Michelet richtig sagt. Saint-Justs Tragik ist es jedoch, aus höheren Gründen und Forderungen manchmal in Marats Rufe eingestimmt zu haben. Ein Klüngel schließt sich an den andern, eine Minderheit an die andere, es ist schließlich nicht sicher, dass das Schafott im Dienste des Willens aller arbeitet. Saint-Just wenigstens behauptet bis zum Schluss, es arbeite für den Gesamtwillen, daes für die Tugend arbeite. «Eine Revolution wie die unsere ist kein Gericht über die Bösen, sondern ein Donnerschlag über ihnen.» Das Gute donnert hernieder, die Unschuld wird zum Blitz, zu einem richtenden Blitz. Selbst die Genießer, gerade sie, sind Gegenrevolutionäre. Saint-Just, der gesagt hat, die Idee des Glücks sei neu für Europa (streng genommen war sie neu vor allem für Saint-Just, der die Geschichte bei Brutus anhielt), entdeckt, dass einige eine «abscheuliche Vorstellung vom Glück haben und es mit der Lust verwechseln». Auch gegen sie muss man vorgehen. Am Schluss ist von der Mehrheit keine Rede mehr. Das verlorene und ständig ersehnte Paradies der allgemeinen Unschuld entfernt sich; auf der unglücklichen Erde, erfüllt vom Geschrei des Bruder- und Völkerkriegs, verfügt Saint-Just gegen sich selbst und seine Prinzipien, dass jedermann schuldig ist, wenn das Vaterland unglücklich ist. Die Reihe der Berichte über die Klüngel im Ausland, das Gesetz vom 22. Prairial, die Rede vom 15. April 1794 über die Notwendigkeit der Polizei
Weitere Kostenlose Bücher