Camus, Albert
d’Herbois schließt: «Ich wünsche, dass sie sich rechtfertigen und dass wir klüger werden.» Der Stil und die Guillotine bleiben hier einen Augenblick in der Schwebe. Doch die Tugend ist nicht die Klugheit, sie ist zu stolz dazu. DieGuillotine wird auf diesen Kopf, schön und kalt wie die Moral, wieder herabfallen. Vom Moment seiner Verurteilung durch die gesetzgebende Versammlung bis zu dem, wo er seinen Nacken dem Fallbeil hinhält, schweigt Saint-Just. Dies lange Schweigen ist wichtiger als der Tod selbst. Er hatte sich beklagt, dass um den Thron das Schweigen herrsche, aus diesem Grund wollte er so viel und so gut sprechen. Am Ende jedoch, die Tyrannei und das Rätsel eines Volkes verachtend, das sich der Vernunft nicht anpasst, kehrt er selbst zum Schweigen zurück. Seine Prinzipien können nicht einig gehen mit dem, was ist; die Dinge sind nicht, was sie sein sollten; die Prinzipien sind somit einsam, stumm und starr. Sich ihnen überlassen heißt in Wirklichkeit sterben, und an einer unmöglichen Liebe sterben, nämlich am Gegenteil der Liebe. Saint-Just stirbt, und mit ihm die Hoffnung einer neuen Religion.
«Alle Steine sind behauen für den Bau der Freiheit», sagte Saint-Just, «ihr könnt ihr aus den gleichen Steinen einen Tempel oder ein Grab bauen.» Gerade die Prinzipien des ‹Contrat social› waren führend bei der Errichtung des Grabs, das Napoleon Bonaparte zusiegelte. Rousseau, dem es an gesundem Menschenverstand nicht fehlte, hatte wohl erkannt, dass die Gesellschaft des ‹Contrat› nur für Götter zugeschnitten war. Seine Nachfolger nahmen ihn beim Wort und versuchten, die Göttlichkeit des Menschen zu begründen. Die rote Fahne, das Symbol des Kriegsrechts, also der Exekutive unter dem Ancien Régime, wird am 10. August 1792 zum Symbol der Revolution. Eine bezeichnende Übertragung, die Jaurès so kommentiert: «Wir, das Volk, sind das Recht … Wir sind nicht Aufständische. Die Aufständischen sind in den Tuilerien.» Aber so leicht wird man nicht Gott. Auch die alten Götter sterben nicht auf den ersten Streich, erst die Revolutionen des 19. Jahrhunderts werden die Liquidationdes göttlichen Prinzips vollenden. Paris erhebt sich dann, um den König unter das Gesetz des Volkes zu stellen und um ihn zu hindern, eine prinzipielle Autorität wiederherzustellen. Jener Leichnam, den die Empörer von 1830 durch die Säle der Tuilerien schleifen und auf den Thron setzen, um ihm lächerliche Ehren zu erweisen, hat keine andere Bedeutung. Der König kann in dieser Zeit noch ein geachteter Geschäftsträger sein, seine Vollmacht jedoch erhält er nun von der Nation, sein Gesetz ist die Verfassung. Er ist nicht mehr Majestät. Da das Ancien Régime nun endgültig in Frankreich verschwindet, muss sich nach 1848 das neue noch festigen; die Geschichte des 19. Jahrhunderts ist bis 1914 die der Wiedereinsetzung der Volkssouveränität gegen die Monarchie des Ancien Régime, die Geschichte des Nationalitätenprinzips. Dies Prinzip siegt 1919 mit dem Verschwinden aller Absolutismen eines Ancien Régimes in Europa. 41 Überall tritt die Souveränität der Nation rechtlich und ursächlich an die Stelle des souveränen Königs. Da erst können die Prinzipien von 1789 zutage treten. Wir Heutigen sind die ersten, es klar beurteilen zu können.
Die Jakobiner haben die ewigen moralischen Prinzipien im gleichen Maß verhärtet, indem sie unterdrückten, was bisher diese Prinzipien stützte. Evangelismusverkünder, wollten sie die Brüderlichkeit auf dem abstrakten Recht der Römer begründen. Die göttlichen Gebote ersetzten sie durch das Gesetz, von dem sie annahmen, dass es von allen erkannt werden müsse, da es ja der Ausdruck des Gesamtwillens war. Das Gesetz fand seine Rechtfertigung in der natürlichen Tugendund rechtfertigte wiederum diese. Doch im Augenblick, da sich eine einzige Gegenpartei erhebt, bricht diese Vorstellung zusammen, und man erkennt, dass die Tugend der Rechtfertigung bedarf, um nicht abstrakt zu sein. Im gleichen Zug haben die Bürgerjuristen des 18. Jahrhunderts, als sie unter ihren Prinzipien die gerechten und lebendigen Eroberungen ihres Volks erdrückten, die beiden heutigen Nihilismen vorbereitet: denjenigen des Einzelnen und den des Staates.
Das Gesetz kann in der Tat herrschen, sofern es das Gesetz der allgemeinen Vernunft ist. 42 Aber das ist es niemals, und seine Rechtfertigung geht verloren, wenn der Mensch nicht von Natur aus gut ist. Eines Tages stößt die Ideologie
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