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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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bezeichnen die Etappen dieser Umkehr. Der gleiche Mann, der es mit so viel Größe für Niedertracht hielt, die Waffen abzulegen, solange es noch irgendwo einen Herrn und einen Sklaven gäbe, soll nun einwilligen, die Verfassung von 1793 außer Kraft zu lassen und die Willkür auszuüben. In seiner Rede zur Verteidigung Robespierres leugnet er die Berühmtheit und das Nachleben und bezieht sich nur auf eine abstrakte Vorsehung. Er gab gleichzeitig zu, dass die Tugend, aus der er seine Religion machte, keinen andern Preis als die Geschichte und die Gegenwart habe und dass sie um jeden Preis ihr eigenes Reich aufrichten müsse. Er liebte nicht die ‹grausame und böse› Macht, die, wie er sagt, «ohne das Gesetz zur Unterdrückung schreitet». Das Gesetz jedoch war die Tugend und kam vom Volk. Wurde das Volk schwach, so verdunkelte sich das Gesetz, und die Unterdrückung nahmzu. Das Volk war dann schuldig, nicht die Macht, deren Prinzip unschuldig sein musste. Ein so extremer und blutiger Widerspruch konnte sich nur in einer noch extremeren Logik auflösen sowie in der letzten Annahme der Prinzipien, im Schweigen und im Tod. Saint-Just zumindest blieb auf der Höhe dieser Forderung. Da fand er endlich seine Größe und das unabhängige Leben in den Jahrhunderten und in allen Himmeln.
    Seit langem hatte er in der Tat geahnt, dass seine Forderung eine vollkommene und rückhaltlose Hingabe von seiner Seite voraussetzte; er sagte selbst, dass die, welche in der Welt die Revolutionen machen, «die, welche das Gute tun», erst im Grabe schlafen können. Überzeugt dass seine Prinzipien, um zu siegen, in der Tugend und im Glück seines Volkes gipfeln müssen, vielleicht in der Erkenntnis, dass er das Unmögliche begehre, hatte er sich im Voraus jeden Rückweg abgeschnitten, indem er öffentlich erklärte, er werde sich an dem Tag umbringen, da er an diesem Volk verzweifeln würde. Nun verzweifelt er dennoch, da er ja am Terror selbst zweifelt. «Die Revolution ist eingefroren, alle Prinzipien sind ermattet, es bleiben nur rote Mützen auf den Köpfen der Intrige. Die Ausübung des Verbrechens hat das Verbrechen abgestumpft, wie die starken Liköre den Gaumen abstumpfen.» Selbst die Tugend «vereinigt sich mit dem Verbrechen in Zeiten der Anarchie». Er hatte gesagt, alle Verbrechen entsprängen der Tyrannei, die das erste von allen sei, und vor der unablässigen Beharrung im Verbrechen lief die Revolution nun selbst auf die Tyrannei zu und wurde verbrecherisch. Man kann also weder das Verbrechen noch die Klüngel oder die abscheuliche Genusssucht verringern; man muss an diesem Volk verzweifeln und es unterjochen. Aber man kann ebenso wenig unschuldig regieren. Also muss man dem Bösen dienen oder es erleiden, eingestehen, dass die Prinzipienunrecht haben, oder zugeben, dass die Menschen und das Volk schuldig sind. Nun wendet sich das geheimnisvolle, schöne Gesicht Saint-Justs weg: «Ein Leben aufgeben, in dem man entweder Komplice oder stummer Zeuge des Bösen sein muss, hieße wenig aufgeben.» Brutus, der sich selbst töten muss, tötet er nicht die andern, beginnt damit, die andern zu töten. Doch der andern gibt es zu viele, man kann nicht alle töten. Also muss man sterben und einmal mehr belegen, dass die Revolte, wenn sie gesetzlos ist, zwischen der Vernichtung der andern oder seiner selbst schwankt. Die letztere Aufgabe zumindest ist leicht; einmal mehr genügt es, der Logik bis ans Ende zu folgen. In seiner Rede zur Verteidigung Robespierres bestätigt Saint-Just, kurz vor seinem Tode, noch einmal das leitende Prinzip seines Handelns, das Gleiche, das ihn verurteilen wird: «Ich gehöre keinem Klüngel an, ich werde sie alle bekämpfen.» Er anerkannte also im Voraus die Entscheidung des Gesamtwillens, d. h. der gesetzgebenden Versammlung. Er nahm es auf sich, in den Tod zu gehen aus Liebe zu den Prinzipien und gegen jede Wirklichkeit, da ja die Meinung der gesetzgebenden Versammlung nur durch die Beredsamkeit und den Fanatismus eines Klüngels gewonnen werden konnte. Doch was! Wenn die Prinzipien schwach werden, bleibt den Menschen, um sie und den Glauben an sie zu retten, nur eins übrig: für sie zu sterben. In der erstickenden Pariser Julihitze bekennt Saint-Just, die Wirklichkeit und die Welt offenkundig zurückweisend, er unterstelle sein Leben dem Entscheid der Prinzipien. Darauf scheint er flüchtig eine andere Wahrheit zu erkennen, indem er mit einer gemäßigten Anklage gegen Billaud-Varennes und Collot

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