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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Jacques Roux war zumindest der Wahrheit jenes Augenblicks nahe, als er den König Ludwig den Letzten nannte und dadurch zu erkennen gab, dass die wahre Revolution, die auf wirtschaftlicher Ebene schon vollzogen, sich nun auf dem Feld der Philosophie vollende und dass sie eine Götterdämmerung sei. Die Theokratie wurde 1789 in ihrem Prinzip angegriffen und 1793 in ihrer Verkörperung getötet. Brissot sagt mit Recht: «Das unerschütterlichste Denkmal unserer Revolution ist die Philosophie.» 38
    Am 21. Januar geht mit der Ermordung des Priesterkönigsdas zu Ende, was man bezeichnenderweise die Passion Ludwigs XVI. genannt hat. Gewiss ist es ein abstoßender Skandal, die öffentliche Ermordung eines schwachen und guten Menschen als einen großen Augenblick unserer Geschichte darzustellen. Dieses Schafott bezeichnet keinen Gipfel, weit gefehlt. Nichtsdestoweniger bleibt die Tatsache, dass das Urteil über den König durch seine Begründung und seine Folgen den Wendepunkt unserer modernen Geschichte darstellt. Es symbolisiert die Entheiligung dieser Geschichte und die Entkörperung des christlichen Gottes. Gott mischte sich bis dahin durch die Könige in die Geschichte. Aber man tötet seinen geschichtlichen Stellvertreter, es gibt keinen König mehr. Es gibt nur noch einen Scheingott, der in den Himmel der Prinzipien verwiesen wird. 39
    Die Revolutionäre können sich auf das Evangelium berufen. In Wirklichkeit versetzen sie dem Christentum einen furchtbaren Schlag, von dem es sich noch nicht erholt hat. Es scheint tatsächlich, als ob die Hinrichtung des Königs, begleitet, wie man weiß, von konvulsivischen Szenen des Selbstmords oder Wahnsinns, im vollen Bewusstsein des Geschehenden sich abgespielt habe. Ludwig XVI. scheint manchmal an seinem göttlichen Recht gezweifelt zu haben, obwohl er systematisch alle Gesetzesentwürfe zurückwies, die seinen Glauben anrührten. Doch sobald er sein Schicksal vermutet oder genau kennt, scheint er sich, wie seine Worte beweisen, mit seinem göttlichen Auftrag zu identifizieren, damit genau ausgedrückt werde, dass der Anschlag gegen seine Person auf den Christkönig zielt, auf die göttliche Inkarnation und nicht die entsetzte Haut des Menschen. Seine Lieblingslektüre im Tempel ist die Imitatio. Die Sanftmut, mit der dieser Mann doch nur mäßiger Gefühlskraft seinenletzten Augenblicken entgegengeht, seine unbeteiligten Bemerkungen über alles nur die äußere Welt Berührende und am Schluss sein kurzer Schwächeanfall auf dem einsamen Schafott vor dem schrecklichen Trommler, der seine Stimme übertönte, so fern von diesem Volk, dem er sich verständlich zu machen hoffte, all das lässt daran denken, dass hier nicht Capet stirbt, sondern Ludwig göttlichen Rechts und mit ihm auf gewisse Weise das zeitliche Christentum. Um dies heilige Band noch zu verstärken, spricht ihm sein Beichtvater während seines Schwächeanfalls Mut zu, indem er ihm seine ‹Ähnlichkeit› mit dem Gott der Schmerzen ins Gedächtnis ruft. Und Ludwig XVI. fasst sich darauf und nimmt wieder die Sprache dieses Gottes auf: «Ich werde diesen Kelch bis zur Neige trinken», sagt er. Dann überlässt er sich schaudernd den gemeinen Händen des Henkers.

    Die Religion der Tugend

    Aber die Religion, die so den alten Souverän hinrichtet, muss nun die Macht des neuen errichten; sie schließt die Kirche und ist zu dem Versuch veranlasst, einen Tempel zu bauen. Das Blut der Götter, das eine Sekunde den Priester Ludwigs XVI. bespritzt, kündigt eine neue Taufe an. Joseph de Maistre nannte die Revolution teuflisch. Man erkennt, warum und in welchem Sinn. Michelet war indessen der Wahrheit näher und nannte sie ein Fegfeuer. Blind betritt eine Epoche diesen Tunnel, um ein neues Licht zu entdecken, ein neues Glück und das Antlitz des wahren Gottes. Doch wer wird dieser neue Gott sein? Fragen wir abermals Saint-Just danach.
    Das Jahr 1789 bestätigt noch nicht die Göttlichkeit des Menschen, sondern diejenige des Volkes, insofern sein Willemit dem der Natur und der Vernunft übereinstimmt. Wenn der Gesamtwille sich frei ausdrückt, kann er nichts anderes sein als der allgemeine Ausdruck der Vernunft. Wenn das Volk frei ist, ist es unfehlbar. Nach dem Tod des Königs und der Lösung der Ketten des alten Despotismus wird das Volk nun ausdrücken, was zu allen Zeiten die Wahrheit ist, gewesen ist und sein wird. Es ist das Orakel, das man befragen muss, um zu wissen, was die ewige Weltordnung fordert.
Vox populi,

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