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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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hingegeben den keuschen Spielen der frühen Unschuld unter der Aufsicht der weisen Greise, die er im Voraus mit einer dreifarbigen Schärpe und einem weißen Federbusch schmückte. Man weiß auch, dass vom Anfang der Revolution an Saint-Just gleichzeitig mit Robespierre sich gegen die Todesstrafe aussprach. Er forderte nur, dass die Mörder ihr Leben lang in Schwarz gehen sollten. Er wollte eine Rechtsprechung, die nicht darauf aus war, «den Angeklagten schuldig zu finden, sondern ihn schwach zu finden», und das ist wunderbar. Er träumte auch von einer Republik der Verzeihung,die erkennen würde, dass, wenn auch der Baum des Verbrechens hart, seine Wurzel doch weich ist. Einer seiner Aufschreie wenigstens kommt von Herzen und kann nicht vergessen werden: «Es ist entsetzlich, das Volk zu quälen:» Ja, das ist entsetzlich. Aber ein Herz kann das fühlen und sich dennoch Prinzipien beugen, die am Ende die Qualen des Volkes voraussetzen.
    Ist die Moral formal, so verschlingt sie alles. Um ein Wort Saint-Justs abzuwandeln: Niemand ist unschuldigerweise tugendsam. Sobald die Gesetze nicht mehr die Eintracht herrschen lassen, sobald die Einheit, welche die Prinzipien schaffen sollten, zerbricht, wen trifft die Schuld? Die Klüngel. Wer sind ihre Anhänger? Diejenigen, die durch ihre bloße Tätigkeit die notwendige Einheit leugnen. Der Klüngel spaltet den Souverän. Er ist also lästerlich und verbrecherisch. Man muss ihn bekämpfen, ihn allein. Doch wenn es viele Klüngel gibt?
    Dann werden alle bekämpft, ohne Nachsicht. Saint-Just ruft aus: «Entweder die Tugend oder der Terror.» Man muss die Freiheit stählen; der dem Konvent vorgelegte Verfassungsentwurf erwähnt nun die Todesstrafe. Die absolute Tugend ist unmöglich, die Republik der Verzeihung führt mit unerbittlicher Logik zur Republik der Guillotine. Montesquieu hatte schon diese Logik als eine der Ursachen des Niedergangs der Gesellschaft dargestellt, als er sagte, der Missbrauch der Gewalt sei größer, wenn die Gesetze ihn nicht vorhersehen. Das reine Gesetz Saint-Justs hatte diese Wahrheit nicht berücksichtigt, die doch so alt ist wie die Geschichte selbst, dass nämlich das Gesetz seinem Wesen nach der Übertretung geweiht ist.

    Der Terror

    Saint-Just, Sades Zeitgenosse, endet mit der Rechtfertigung des Verbrechens, obwohl er von verschiedenen Grundsätzen ausgeht. Ohne Zweifel ist er der Anti-Sade. Wenn die Formel des Marquis hätte lauten können: ‹Öffnet die Gefängnisse oder beweist eure Tugend›, so die des Konventmitglieds: ‹Beweist eure Tugend oder geht in die Gefängnisse.› Beide jedoch rechtfertigen einen Terrorismus, der Freigeist einen individuellen, der Tugendpriester einen staatlichen. Das absolute Gute oder das absolute Böse, wendet man auf sie die nötige Logik an, fordern beide die gleiche Raserei. Gewiss ist der Fall Saint-Justs vieldeutig. Der Brief, den er 1792 an Vilain d’Aubigny schrieb, ist irgendwie unsinnig. Dies Glaubensbekenntnis eines verfolgten Verfolgers schließt mit einem verkrampften Geständnis: «Wenn Brutus nicht die andern tötet, wird er sich selbst töten.» Eine so beharrlich ernste, geflissentlich kalte, logische, unerschütterliche Gestalt lässt alle Unausgeglichenheit und Verwirrung ahnen. Saint-Just hat diesen Ernst erfunden, der aus der Geschichte der beiden letzten Jahrhunderte einen so langweiligen, düsteren Roman macht. «Wer an der Spitze der Regierung scherzt», sagt er, «strebt nach der Tyrannei.» Ein verblüffendes Wort, besonders wenn man daran denkt, womit damals die bloße Anklage auf Tyrannei bezahlt wurde, und das auf jeden Fall das Zeitalter der pedantischen Cäsaren vorbereitet. Saint-Just gibt das Beispiel; selbst sein Ton ist endgültig. Dieser Wasserfall scheinbar unumstößlicher Behauptungen, dieser axiomatische und sentenziöse Stil stellt ihn besser als das treueste Gemälde dar. Die Sentenzen schnurren wie die Weisheit der Nation selbst, die Definitionen, die die Kunst ausmachen, folgen sich wie kalte und klare Gebote. «Die Prinzipien müssen gemäßigt sein, dieGesetze unerbittlich, die Prinzipien unverrückbar.» Das ist der Stil der Guillotine.
    Eine solche Verhärtung in der Logik setzt indessen eine tiefe Leidenschaft voraus. Hier wie anderswo finden wir die Leidenschaft für die Einheit wieder. Diejenige von 1789 fordert die Einheit des Vaterlands. Saint-Just träumt vom idealen Staat, wo die Sitten, endlich mit den Gesetzen konform, die Unschuld des Menschen

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