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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Revolutionsverbände, diktatorische Gewalt der Führer, diese Themen charakterisieren den Begriff, wenn nicht die Tatsache des ‹Apparats›, der ein so bedeutendes und folgenreiches Schicksal haben wird. Was die Methode selbst betrifft, bekommt man einen richtigen Eindruck, wenn man weiß, dass Tkatschew die Ausrottung aller Russen über fünfundzwanzig vorschlug, da sie unfähig seien, die neuen Ideen anzunehmen. Wahrlich eine geniale Methode, welcher der Vorrang gebührt in der Technik des modernen Überstaates, wo die Zwangserziehung der Kinder inmitten terrorisierter Erwachsener erfolgt. Der caesarische Sozialismus verurteilt zweifellos den individuellen Terrorismus insofern, als er Werte aufleben lässt, die mit der Herrschaft der historischen Vernunft unvereinbar sind. Aber er führt den Terror auf der Ebene des Staates wieder ein mit der einzigen Rechtfertigung des Aufbaus der endlich vergöttlichten Menschheit.
    Hier schließt sich ein Kreis, und die von ihren wahrenWurzeln abgeschnittene Revolte, dem Menschen ungetreu, weil der Geschichte unterworfen, plant nun, die ganze Welt zu knechten. Da beginnt die Ära des Schigalewismus, den Werchowenskij in den ‹Besessenen› gefeiert hat, der Nihilist, der das Recht zur Unehre verlangt. Ein unglücklicher und unerbittlicher Geist 63 , entscheidet er sich für den Willen zur Macht, der tatsächlich allein imstande ist, zu herrschen über eine Geschichte ohne andere Bedeutung als sie selbst. Schigalew, der Philanthrop, ist sein Bürge; die Liebe zu den Menschen rechtfertigt fortan ihre Versklavung. Wild auf Gleichheit 64 , gelangt Schigalew nach langem Nachdenken mit Verzweiflung zum Schluss, dass ein einziges System möglich ist, obwohl in der Tat verzweiflungsvoll. «Von der unbeschränkten Freiheit ausgegangen, komme ich zum unbeschränkten Despotismus.» Die vollständige Freiheit, die Verneinung von allem ist, kann nur leben und sich rechtfertigen durch die Erschaffung neuer Werte, die identisch mit der ganzen Menschheit sind. Lässt diese Erschaffung auf sich warten, so zerfleischt sich die Menschheit bis zum Tod. Der kürzeste Weg zu diesen neuen Werttafeln geht über die totale Diktatur: «Ein Zehntel der Menschheit wird die Rechte der Persönlichkeit besitzen und eine unbeschränkte Hoheit über die andern neun Zehntel ausüben. Diese werden ihre Persönlichkeit einbüßen und wie eine Herde werden; zu passivem Gehorsam gezwungen, werden sie zur ursprünglichen Unschuld zurückgeführt, zum Paradies des Anbeginns sozusagen, wo sie übrigens arbeiten müssen.» Das ist die Regierung der Philosophen, von der die Utopisten träumten, nur glauben diesePhilosophen an nichts. Das Reich ist gekommen, doch es leugnet die wahre Revolte; es handelt sich bloß um die Herrschaft der ‹gewaltsamen Christen›, um den Ausdruck eines begeisterten Literaten aufzunehmen, der Leben und Tod von Ravachol feierte. «Oben der Papst», sagt Werchowenskij mit Bitterkeit, «wir rund um ihn herum und unter uns der Schigalewismus.»
    Die totalitären Theokratien des 20. Jahrhunderts, der Staatsterror werden somit angekündigt. Die neuen Herren und die Großinquisitoren herrschen heute über einen Teil unserer Geschichte, indem sie die Revolte der Unterdrückten ausnutzen. Ihre Herrschaft ist grausam, aber sie entschuldigen ihre Grausamkeit wie der Satan der Romantik damit, dass sie schwer zu tragen sei. «Wir behalten uns die Begierde und das Leiden vor, die Sklaven haben den Schigalewismus.» Eine neue und recht scheußliche Rasse Märtyrer entsteht in diesem Augenblick. Ihr Martyrium besteht darin, einzuwilligen, den andern Leiden aufzuerlegen; sie machen sich zu Sklaven ihres eigenen Herrentums. Damit der Mensch Gott werde, muss das Opfer sich erniedrigen, Henker zu werden. Deshalb sind Opfer wie Henker gleichermaßen verzweifelt. Weder Sklaventum noch Macht fallen nun mit dem Glück zusammen, die Herren sind mürrisch, die Knechte verdrossen. Saint-Just hatte recht: Das Volk quälen ist etwas Entsetzliches. Wie jedoch es vermeiden, die Menschen zu quälen, wenn man beschlossen hat, aus ihnen Götter zu machen? Wie Kirilow, der sich tötet, um Gott zu sein, es hinnimmt, seinen Selbstmord von Werchowenskijs ‹Verschwörung› ausgenutzt zu sehen, so tritt die Vergöttlichung des Menschen über die Grenze, welche die Revolte doch aufgezeigt hatte, und schlägt unwiderstehlich den schmutzigen Weg der Taktik und des Terrors ein, von dem die Geschichte noch nicht abgegangen

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