Camus, Albert
Deutschland von 1933 hat also akzeptiert, die erniedrigten Werte nur einiger Menschen zu übernehmen, und hat versucht, sie einer ganzen Kultur aufzuerlegen. Da ihm die Moral Goethes mangelte, erwählte und litt es eine Gangstermoral.
Gangstermoral ist Triumph und Rache, Niederlage und Ressentiment in unerschöpflicher Weise. Als Mussolini ‹die elementaren Kräfte des Individuums› pries, kündigte er die Verherrlichung der dunkeln Mächte des Bluts und der Instinkte an, die biologische Rechtfertigung dessen, was die Herrschsucht an Schlimmstem hervorbringt. Im Nürnberger Prozess hat Frank auf den ‹Hass gegen die Form› hingewiesen, der Hitler erfüllte. Dieser war freilich nur eine Kraft in Bewegung, aufgezogen und wirksamer gemacht durch die Berechnungen der List und einer unerbittlichen taktischen Hellsicht. Selbst seine körperliche Gestalt, mittelmäßig und gewöhnlich, war für ihn keine Grenze, sondern verschmolzihn in der Masse. 65 Nur die Tat hielt ihn aufrecht. Sein bedeutete für ihn Tun. Deshalb konnten Hitler und sein Regime auch nicht auf Feinde verzichten. Rasende Dandys 66 , konnten sie sich nur in Beziehung auf ihre Feinde definieren, nur im verbissenen Kampf, der sie vernichten sollte, Gestalt gewinnen. Der Jude, die Freimaurer, die Plutokratien, die Angelsachsen, der tierische Slawe lösten sich in der Propaganda und der Geschichte ab, um jedes Mal ein bisschen mehr die blinde Kraft anzustacheln, die auf ihr Ende zuging. Der andauernde Kampf verlangte unaufhörlich Reizmittel.
Hitler war die Geschichte in Reinzustand. «Werden ist mehr als Leben», sagte Jünger. Er predigte also die völlige Identifikation mit dem Lebensstrom auf tiefstem Niveau und gegen jede höhere Wirklichkeit. Das Regime, das die biologische Außenpolitik erfunden hatte, handelte gegen seine offenkundigsten Interessen. Aber es gehorchte zumindest seiner besonderen Logik. So sprach Rosenberg großartig vom Leben: «Der Stil einer marschierenden Kolonne, und es ist unwichtig, in welcher Richtung und zu welchem Zweck die Kolonne in Marsch ist.» Darauf wird die Kolonne die Geschichte der Ruinen aussäen und ihr eigenes Land verwüsten; sie zum mindesten wird gelebt haben. Die wahre Logik dieses Dynamismus war die totale Niederlage oder, von Eroberung zu Eroberung, von Feind zu Feind, die Errichtung des Reichs der Tat und des Bluts. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Hitler, wenigstens am Anfang, dieses Reich ersonnen hat. Weder durch die Bildung noch durch den Spürsinn oder die taktische Intelligenz war er auf der Höhe seines Schicksals. Deutschland brach zusammen, weil es inden Kampf um ein Reich mit einem politischen Denken von provinziellem Ausmaß eintrat. Doch Jünger hatte diese Logik bemerkt und sie formuliert. Er hatte die Vision eines ‹weltweiten und technischen Reichs›, einer ‹antichristlichen technischen Religion›, deren Getreue und Soldaten die Mönche selbst gewesen wären, weil – und da trifft Jünger mit Marx zusammen – aufgrund seiner menschlichen Struktur der Arbeiter universal ist. «Das Statut einer neuen Befehlsherrschaft folgt auf die Veränderung des Gesellschaftsvertrags. Der Arbeiter wird aus der Sphäre der Verhandlungen, des Mitleids und der Literatur herausgezogen und erhoben in diejenige der Tat. Die rechtlichen Verpflichtungen wandeln sich in militärische um.» Das Reich ist, wie man sieht, zu gleicher Zeit Weltfabrik und Weltkaserne, wo Hegels Arbeitersoldat als Sklave herrscht. Hitler wurde verhältnismäßig früh auf diesem Weg angehalten. Aber selbst wenn er weitergegangen wäre, hätte man nur einer immer weiteren Entfaltung eines unwiderstehlichen Dynamismus und einer immer heftigeren Verstärkung der zynischen Prinzipien beigewohnt, die allein diesem Dynamismus zu dienen imstande sind.
Rauschning spricht von einer solchen Revolution und sagt, sie sei nicht mehr Befreiung, Gerechtigkeit oder Aufschwung des Geistes, sondern «der Tod der Freiheit, die Herrschaft der Gewalt und die Versklavung des Geistes». Der Faschismus ist in der Tat die Verachtung. Umgekehrt bereitet jede Form von Verachtung, in die Politik eingedrungen, den Faschismus vor oder führt ihn ein. Man muss hinzufügen, dass der Faschismus gar nichts anderes sein kann, ohne sich nicht selbst zu verleugnen. Jünger folgerte aus seinen eigenen Grundsätzen, es sei besser, Verbrecher als Bürger zu sein. Hitler, der weniger literarisches Talent, aber mehr Konsequenz hatte, wusste, dass es unerheblich ist,
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