Camus, Albert
das eine oderdas andere zu sein, sobald man nur noch an den Erfolg glaubt. Er gestattete es sich also, das eine und das andere zu sein. «Die Tatsache ist alles», sagte Mussolini. Und Hitler: «Wenn die Rasse in Gefahr schwebt, unterdrückt zu werden, spielt die Frage der Gesetzmäßigkeit nur eine sekundäre Rolle.» Da die Rasse, um zu sein, immer bedroht sein muss, gibt es eine Gesetzmäßigkeit. «Ich bin bereit, alles zu unterschreiben. Was mich betrifft, bin ich imstande, guten Glaubens heute einen Vertrag zu unterzeichnen und ihn morgen zu brechen, wenn die Zukunft des deutschen Volkes auf dem Spiel steht.» Bevor er den Krieg erklärte, äußerte der Führer zu seinen Generälen, der Sieger werde später nicht gefragt werden, ob er die Wahrheit gesagt habe oder nicht. Die Verteidigung Görings im Nürnberger Prozess nimmt diese Idee wieder auf: «Der Sieger wird immer Richter sein und der Besiegte der Angeklagte.» Darüber kann man ohne Zweifel diskutieren. Aber dann versteht man Rosenberg nicht, wenn er im Nürnberger Prozess sagt, er habe nicht vorausgesehen, dass dieser Mythos zum Mord führen werde. Wenn der englische Staatsanwalt bemerkt, «von ‹Mein Kampf› ging der Weg direkt zu den Gaskammern von Maidanek», berührt er jedoch den wahren Gegenstand des Prozesses, denjenigen der geschichtlichen Verantwortung des westlichen Nihilismus, der Einzige, der in Nürnberg aus verständlichen Gründen nicht zur Sprache kam. Man kann nicht einen Prozess führen und dabei eine ganze Kultur im Allgemeinen schuldig erklären. Man urteilte nur Taten ab, die zum mindesten ins Antlitz der ganzen Welt schrien.
Hitler hat jedenfalls die fortwährende Bewegung der Eroberung erfunden, ohne die er nichts gewesen wäre. Aber unaufhörlicher Feind heißt unaufhörlicher Terror, diesmal auf der Ebene des Staates. Der Staat identifiziert sich mit dem ‹Apparat›, d. h. der Gesamtheit der Eroberungs- und Unterdrückungsmechanismen.Gegen das Inland gerichtet, heißt die Eroberung Propaganda («der Schritt zur Hölle» nach Frank) oder Unterdrückung. Gegen das Ausland gerichtet, schafft sie die Armee. Somit sind alle Probleme militarisiert, in Ausdrücken der Macht und Wirksamkeit gestellt. Der Oberkommandierende bestimmt die Politik und ebenso die hauptsächlichen Probleme der Verwaltung. Dies Prinzip, unwiderlegbar in der Strategie, wird verallgemeinert im zivilen Leben. Ein einziger Führer, ein einziges Volk heißt ein einziger Herr und Millionen Sklaven. Die politischen Zwischeninstanzen, die in allen Gesellschaften Garanten der Freiheit sind, verschwinden, um einem gestiefelten Jehova Platz zu machen, der über schweigende Massen herrscht oder, was aufs Gleiche hinauskommt, Befehle brüllt. Man stellt nicht zwischen Führer und Volk einen Organismus der Ausgleichung oder der Vermittlung, sondern eben den Apparat, d. h. die Partei, welche die Ausstrahlung des Führers und das Werkzeug seines Unterdrückungswillens ist. So entsteht das oberste und einzige Prinzip dieser niedrigen Mystik, das
Führerprinzip,
das in der Welt des Nihilismus einen Götzendienst und ein degradiertes Heiliges wiederherstellt.
Mussolini, der lateinische Jurist, begnügte sich mit der Staatsraison, die er mit viel Rhetorik in ein Absolutum umwandelte. «Nichts außerhalb des Staates, über dem Staat, gegen den Staat. Alles für den Staat, im Staat.» Hitler-Deutschland hat diesem falschen Denken seine wahre Sprache gegeben, diejenige einer Religion. «Unser göttlicher Dienst», schrieb eine Nazizeitung während eines Parteitages, «bestand darin, jeden zu seinen Ursprüngen, zu den Müttern, zurückzubringen. In Wirklichkeit war das ein Gottesdienst.» Die Ursprünge liegen also im primitiven Geheul. Wer ist dieser Gott, von dem hier die Rede ist? Eine offizielle Parteierklärung belehrt uns: «Wir alle auf Erden glauben anAdolf Hitler, unseren Führer … und wir bekennen, dass der Nationalsozialismus der einzige Glaube ist, der unser Volk zum Heile führt.» Die Gebote des Führers im brennenden Dornbusch der Scheinwerfer, auf einem Sinai aus Brettern und Fahnen gegeben, setzen nun Glauben und Tugend fest. Wenn die übermenschlichen Mikrophone nur einmal das Verbrechen befohlen haben, steigt es von Führern zu Unterführern bis zum Sklaven hinunter, der die Befehle empfängt, ohne jemandem welche zu geben. Ein Töter von Dachau weint dann in seiner Zelle: «Ich habe nichts getan, als die Befehle ausgeführt. Der Führer und Reichsführer
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