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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Geschichte finden kann. Es wurden nicht nur die Häuser angezündet, die hundertvierundsiebzig Männer des Dorfes erschossen, die zweihundertdrei Frauen deportiert und die hundertdrei Kinder fortgeschafft, um in der Religion des Führers erzogen zu werden, sondern Spezialformationen wendeten Monate von Arbeit auf, um den Boden mit Dynamit einzuebnen, die Steine zu beseitigen, den Dorfteich aufzufüllen und schließlich die Straße und den Fluss umzuleiten. Lidice war danach wirklich nichts als eine reine Zukunft, nach der Logik der Bewegung. Zur Sicherheit entfernteman die Toten aus dem Friedhof, die noch daran hätten erinnern können, dass in dieser Gegend etwas gewesen war. 67
    Die nihilistische Revolution, die ihren geschichtlichen Ausdruck in der Religion Hitlers fand, hat somit eine maßlose Sucht nach dem Nichts hervorgerufen, das sich am Schluss gegen sich selbst wendete. Mindestens diesmal war die Negation, trotz Hegel, nicht schöpferisch. Hitler stellt den in der Geschichte vielleicht einmaligen Fall eines Tyrannen dar, der nichts zu seinen Gunsten zurücklässt. Für sich selbst, für sein Volk und die Welt war er nichts anderes als Selbstmord und Mord. Sieben Millionen ermordeter Juden, sieben Millionen deportierter oder getöteter Europäer, zehn Millionen Kriegsopfer genügen der Geschichte vielleicht noch nicht, um zu urteilen, denn sie ist an Mörder gewöhnt. Aber die Vernichtung auch der letzten Rechtfertigung Hitlers, des deutschen Volkes, macht künftig aus diesem Mann, dessen historische Gegenwart jahrelang Millionen von Menschen heimsuchte, einen haltlosen, elenden Schatten. Die Aussage Speers im Nürnberger Prozess hat gezeigt, dass Hitler, der den Krieg noch vor dem völligen Ruin hätte aufhören lassen können, den allgemeinen Selbstmord, die materielle und politische Zerstörung des deutschen Volkes gewollt hat. Der einzige Wert blieb für ihn bis ans Ende der Erfolg. Da Deutschland den Krieg verlor, war es feig und verräterisch und musste untergehen. «Wenn das deutsche Volk nicht fähig ist zu siegen, ist es nicht würdig zu leben.» Hitler beschlossalso, es in den Tod zu ziehen und aus seiner Vernichtung eine Apotheose zu machen, als die russischen Kanonen schon die Mauern des Berliner Palais zum Bersten brachten. Hitler, Göring, der seine Gebeine in einem Marmorsarg gebettet wissen wollte, Goebbels, Himmler, Ley töten sich in unterirdischen Gelassen oder in Gefängniszellen. Doch dieser Tod ist ein Tod für nichts, ein böser Traum, ein verwehter Rauch. Weder wirksam noch beispielhaft, besiegelt er die blutige Eitelkeit des Nihilismus. «Sie wähnen sich frei», schreit Frank hysterisch. «Wissen sie nicht, dass man sich vom Hitlerismus nicht befreit!» Sie wussten es nicht, auch nicht, dass Verneinung von allem Knechtschaft bedeutet und die wahre Freiheit eine innere Unterwerfung ist unter einen Wert, der der Geschichte und ihrem Erfolg die Stirn bietet.
    Aber obwohl die faschistischen Mystiker danach trachteten, nach und nach die Welt anzuführen, haben sie in Wirklichkeit nie nach einem universalen Reich gestrebt. Erstaunt über seine Siege, wurde Hitler bestenfalls von den provinziellen Ursprüngen seiner Bewegung weg- und auf den vagen Traum eines Reichs der Deutschen hingelenkt, das jedoch nichts zu tun hatte mit dem universalen Reich. Der russische Kommunismus strebt hingegen aus seinen Ursprüngen heraus offen zum Weltreich. Das macht seine Stärke, seine überlegte Tiefe und seine Bedeutung in unserer Geschichte aus. Trotz dem äußern Schein war die deutsche Revolution ohne Zukunft. Sie war nur ein primitiver Drang, dessen Verheerung größer war als sein wirklicher Ehrgeiz. Der russische Kommunismus hat im Gegenteil den metaphysischen Ehrgeiz übernommen, den dieser Essay schildert, nach dem Tod Gottes ein Reich des endlich vergöttlichten Menschen zu errichten. Den Namen Revolution, auf den das Abenteuer Hitlers keinen Anspruch hat, hat der russische Kommunismus verdient, und obwohl er ihn anscheinend nicht mehr verdient,behauptet er, ihn eines Tages und für immer zu verdienen. Zum ersten Mal in der Geschichte setzt sich eine Doktrin und eine auf ein waffenstarrendes Reich gestützte Bewegung die endgültige Revolution zum Ziel und die schließliche Vereinigung der Welt. Diesen Anspruch haben wir im Einzelnen zu prüfen. Auf dem Gipfel seines Wahnsinns behauptete Hitler, die Geschichte für tausend Jahre festzulegen. Er wähnte sich im Begriff, es zu tun, und die

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