Camus, Albert

allein haben alles herangeführt und sind darauf verschwunden. Glücks hat Befehle von Kaltenbrunner bekommen, und am Schluss bekam ich den Befehl zu erschießen. Sie haben mir alles aufgehalst, weil ich nur ein kleiner Hauptscharführer war und ich es nicht nach weiter unten abgeben konnte. Nun heißt es, ich sei der Mörder.» Göring beteuerte im Prozess seine Treue zum Führer und dass «es noch eine Ehrenfrage gäbe in diesem verfluchten Leben». Die Ehre lag im Gehorsam, der manchmal mit dem Verbrechen in eins fiel. Das Militärgesetz bestraft den Ungehorsam mit dem Tode, seine Ehre ist Knechtschaft. Wenn jedermann Soldat ist, besteht das Verbrechen darin, nicht zu töten, wenn der Befehl es verlangt.
    Der Befehl verlangt unglücklicherweise selten, das Gute zu tun. Der reine doktrinäre Dynamismus kann sich nicht auf das Gute richten, sondern nur auf die Wirksamkeit. Solange es Feinde gibt, gibt es Terror; es wird so lange Feinde geben, wie der Dynamismus dauert, damit er dauert: «Alle Einflüsse, welche die Souveränität des Volkes, ausgeübt vom Führer mit Hilfe der Partei, zu schwächen imstande sind … müssen beseitigt werden.» Die Feinde sind Ketzer, sie müssen durch Predigt, d. h. Propaganda, bekehrt oder durch dieInquisition, d. h. die Gestapo, umgebracht werden. Das Ergebnis ist, dass der Mensch, gehört er der Partei an, nichts anderes als ein Werkzeug im Dienst des Führers ist, ein Rädchen im Apparat oder, wenn er ein Feind des Führers ist, ein Verbrauchsprodukt des Apparats. Der aus der Revolte hervorgegangene irrationale Schwung zielt nur noch darauf ab, zu unterdrücken, was den Menschen nicht zum Rädchen werden lässt, d. h. die Revolte selbst. Der romantische Individualismus der deutschen Revolution sättigt sich schließlich an der Welt der Dinge. Der irrationale Terror wandelt die Menschen in Dinge um, in «Planetenbazillen» nach Hitlers Worten. Er strebt nach der Zerstörung nicht allein der Person, sondern auch der universellen Möglichkeiten der Person, des Denkens, der Solidarität, des Rufs nach der absoluten Liebe. Die Propaganda, die Tortur sind direkte Mittel der Zersetzung, mehr noch die systematische Erniedrigung, die Vermengung mit dem zynischen Verbrecher, die erzwungene Komplizität. Wer tötet oder foltert, kennt an seinem Sieg nur einen Makel: Er kann sich nicht unschuldig fühlen. Er muss also das Schuldgefühl im Opfer selbst erwecken, damit in einer richtungslosen Welt die allgemeine Schuld nur noch die Ausübung der Gewalt legitimiert, nur noch den Erfolg heiligt. Wenn die Idee der Unschuld selbst dem Unschuldigen entschwindet, herrscht der Wert der Macht endgültig über eine verzweifelte Welt. Deshalb lastet eine gemeine und grausame Buße über dieser Welt, wo allein die Steine unschuldig sind. Die Verurteilten sind gezwungen, sich gegenseitig aufzuhängen. Selbst der reine Herzensruf der Mutterschaft wird erstickt wie bei jener griechischen Mutter, die ein Offizier zwang, denjenigen ihrer drei Söhne auszuwählen, der erschossen werden sollte. So ist man nun endlich frei. Die Macht zu töten und zu entwürdigen rettet die knechtische Seele vor dem Nichts. Die deutsche Freiheitwird nun, von Sträflingsorchestern begleitet, in den Todeslagern besungen.
    Die Verbrechen Hitlers, darunter die Abschlachtung der Juden, sind in der Geschichte ohne Beispiel, denn die Geschichte berichtet von keinem Fall, in dem die Doktrin einer derartig totalen Zerstörung die Kommandostellen einer zivilisierten Nation einnehmen konnte. Aber vor allem haben zum ersten Mal in der Geschichte Männer der Regierung ihre unermessliche Macht dazu angewandt, eine Mystik außerhalb jeder Moral aufzustellen. Dieser erste Versuch einer auf dem Nichts aufgebauten Kirche wurde mit der Vernichtung bezahlt. Die Zerstörung von Lidice zeigt deutlich, dass der systematische und wissenschaftliche Anstrich der Hitler’schen Bewegung in Wahrheit einen irrationalen Anfall verdeckt, der nichts anderes als derjenige der Verzweiflung und des Hochmuts sein kann. Angesichts eines für rebellisch gehaltenen Dorfs dachte man bis dahin nur an zwei Haltungen des Eroberers. Entweder die berechnete Unterdrückung und die kalte Erschießung von Geiseln, oder der wilde, notwendigerweise kurze Vernichtungssturm erbitterter Soldaten. Lidice wurde durch eine Verbindung dieser beiden Systeme zerstört. Es ist ein Beispiel der Verwüstungen durch jenes irrationale Denken, das der einzige Wert ist, den man in der