Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
Vom Netzwerk:
mit unserer Vorstellung der geschichtlichen Entwicklung. Der Unterschied zwischen beiden ist der gleiche wiezwischen einem Kreis und einer geraden Linie. Die Griechen stellten sich die Welt zyklisch vor. Aristoteles, um ein genaues Beispiel zu geben, glaubte sich dem Trojanischen Krieg nicht nachgeboren. Um sich in der Mittelmeerwelt auszubreiten, war das Christentum gezwungen, sich zu hellenisieren, seine Lehre hat sich im gleichen Zug geschmeidigt. Seine Originalität besteht jedoch darin, in die antike Welt zwei Begriffe einzuführen, die nie zuvor verbunden waren: denjenigen der Geschichte und der Strafe. Die Idee der Vermittlung im Christentum ist griechisch. Jüdisch ist der Begriff der Geschichtlichkeit, er findet sich in der deutschen Ideologie wieder.
    Dieser Einschnitt wird noch deutlicher sichtbar, wenn man die Feindlichkeit des geschichtlichen Denkens der Natur gegenüber hervorhebt, die als ein Gegenstand nicht der Betrachtung, sondern der Umwandlung aufgefasst wurde. Für die Christen wie für die Marxisten gilt es, die Natur zu beherrschen. Die Griechen sind der Meinung, es sei besser, ihr zu gehorchen. Die antike Liebe zum Kosmos war den ersten Christen unbekannt, die mit Ungeduld den bevorstehenden Weltuntergang erwarteten. Der Hellenismus, verbunden mit dem Christentum, bringt darauf die bewundernswerte albigensische Blüte einerseits, und anderseits den heiligen Franziskus hervor. Doch mit der Inquisition und der Zerstörung der Häresie der Katharer trennt sich die Kirche aufs Neue von der Welt und der Schönheit und gibt der Geschichte wieder den Vorrang vor der Natur; Jaspers sagt mit Recht: «Es ist die christliche Haltung, die nach und nach die Welt ihrer Substanz entleert … denn die Substanz beruht auf einer Gesamtheit von Symbolen.» Diese Symbole sind die des göttlichen Dramas, das sich durch die Zeit hindurch abrollt. Die Natur ist nur noch der Dekor dieses Dramas. Das schöne Gleichgewicht des Menschlichen und der Natur, die Übereinstimmungdes Menschen mit der Welt, welche das antike Denken erhebt und leuchten macht, wurde zugunsten der Geschichte vom Christentum zuerst gebrochen. Der Eintritt der nordischen Völker, die eine überlieferte Freundschaft mit der Welt nicht kennen, überstürzte diese Bewegung. Vom Augenblick an, da die Göttlichkeit Christi geleugnet wird und er durch die Einwirkung des deutschen Gedankenguts nur noch den Gottmenschen symbolisiert, verschwindet der Begriff der Vermittlung, und eine jüdische Welt steht wieder auf. Der unerbittliche Gott der Armeen herrscht von neuem, jede Schönheit wird beschimpft als Quelle müßiger Genüsse, die Natur selbst wird geknechtet. Von diesem Standpunkt aus ist Marx der Jeremias des geschichtlichen Gottes und der heilige Augustinus der Revolution. Dass das die eigentlich reaktionären Seiten seiner Doktrin erklärt, macht ein einfacher Vergleich mit demjenigen seiner Zeitgenossen, der der intelligente Doktrinär der Reaktion war, verständlich.
    Joseph de Maistre widerlegt im Namen einer christlichen Geschichtsphilosophie den Jakobinismus und den Calvinismus, Lehren, die «alles umfassen, was während drei Jahrhunderten an Schlechtem gedacht wurde». Entgegen den Schismen und Häresien will er das ‹nahtlose Gewand› einer endlich katholischen Kirche wiederherstellen. Sein Ziel ist – man merkt es bei seinen freimaurerischen Abenteuern 68 – das christliche, universale Reich. Maistre träumt von einer Adam-Vorform, oder Fabre d’Olivets universalem Menschen, der den differenzierten Seelen zugrunde liegt, und vom Adam Kadmon der Kabbalisten, der dem Abfall vorausging und den es jetzt wiederherzustellen gilt. Wenn die Kirche wieder die Erde umschließt, wird sie diesem ersten und letzten Adam eine Gestalt geben. Man findet darüber in den‹Soirees de Saint-Petersbourg› viele Stellen, die den messianischen Worten von Hegel und Marx überraschend ähnlich sind. In Maistres zugleich irdischem und himmlischem Jerusalem «sind alle Einwohner vom gleichen Geist durchdrungen, durchdringen sich wechselseitig und bedenken ihr Glück». Maistre geht nicht so weit, das persönliche Weiterleben nach dem Tode zu verneinen, er denkt vielmehr an eine geheimnisvolle, wiedererlangte Einheit, wo es «nach der Vernichtung des Bösen keine Leidenschaft und keinen Eigennutz mehr gibt» und wo «der Mensch mit sich selbst vereint sein wird, nachdem sein doppeltes Gesetz aufgehoben und seine zwei Zentren verschmolzen sein werden».
    Im

Weitere Kostenlose Bücher