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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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den Ästheten vernachlässigt. Doch in der «Theorie über den Mittelmeerraum» [87] , die Camus vorschwebte, sollte alles zusammenkommen. Eine Kritik des hässlichen totalitären Denkens und eine Kritik dieses unvorstellbar hässlichen modernen Zweckbaus namens Europa. Die Schönheit ist für den Nietzscheschüler Camus ein Kriterium der Wahrheit. Je weniger Sinn und Ziel die Geschichte hat, umso schöner sollte das Leben sein. Eine andere Lebensrechtfertigung als die Schönheit kann es für Europa nicht geben. Am 15 . Februar 1952 wird Camus dem Journalisten Pierre Berger entgegnen:
    «Ich habe nicht gesagt, die Lösung aller Dinge liege im Mittelmeer. Ich habe lediglich gesagt, dass sich, nach 150  Jahren, die europäische Ideologie gegen die Begriffe der Natur und der Schönheit und folglich auch der Grenze formiert hat. Begriffe, die im Zentrum des mittelmeerischen Denkens standen. Ich habe gesagt, dass damit ein Gleichgewicht zerbrochen ist. Von den Küsten Afrikas aus, wo ich geboren wurde, sieht man das Gesicht Europas besser. Und man weiß, dass es nicht schön ist.» [88]

Ein Abschied von sich selbst
    Am 25 . Mai 1936 erhält Camus sein Diplôme d’études supérieures. Man bewertet seine Arbeit über Plotin und Augustinus mit «gut». Er hat viele Pläne und wenig Geld. Er möchte unbedingt auf der Höhe seiner Einsichten leben. Das heißt heftig, «bis zu Tränen», und ohne sich zu verbiegen.
    Im Sommer  1937 bewirbt er sich beim Rektorat in Algier um eine Hilfslehrerstelle. Das Rektorat antwortet postwendend. Er bekommt eine Stelle als Grammatiklehrer in Sidi-bel-Abbès, zwölf Zugstunden von Algier entfernt. Camus macht sich auf die Reise – um am nächsten Tag wieder zurückzufahren. Er hat es sich anders überlegt. Er möchte ein «wirkliches», kein «gesichertes» Leben führen. Er fürchtet die süße Trägheit, die das Angestelltendasein bereithält: «Ich schreckte zurück vor dem Trübsinnigen und Lähmenden dieser Existenz. Wenn ich länger als ein paar Tage geblieben wäre, hätte ich mich sicher damit abgefunden.» [89]
    Auch für sich selbst sucht er nach einem dritten Weg. Es muss für ihn etwas anderes geben als «Heirat + 40  Stunden oder Revolver». Er gründet eine neue Theatertruppe, das Théâtre de l’Équipe.
    Dieses Mal soll es kein tagespolitisches Theater werden, in dem die Zuschauer mit den Schauspielern die Internationale singen. Er wünscht sich das Theater groß, griechisch, schicksalhaft. Der Zuschauer soll nicht erzogen und nicht gebessert werden. Camus hält nichts vom epischen Theater Bertolt Brechts. Und er glaubt, dass das Vergnügen auf der Bühne nur ablenke von den großen Dingen, von Liebe, Verlangen und Tod. Er zeigt sich beeindruckt vom Theater der Grausamkeit Antonin Artauds und fordert: «Damit die Handlung auf dem Theater absurd wird, das heißt, die Art von Größe erreicht, die dem Menschen eigen ist, genügt es, dass sie zum Tod führt».
    Allerdings muss der junge Autor auch Geld verdienen, seitdem Schwiegermutter und Onkel als Geldgeber ausgefallen sind und ihm eine Anstellung im höheren Schuldienst wegen seiner Lungenkrankheit versagt bleibt. Im meteorologischen Institut von Algier verdient er als Hilfsassistent 1000  Franc, die Hälfte eines Junglehrergehalts. Entgegen seinen Ambitionen führt er das Leben eines kleinen, alleinstehenden Angestellten, gescheitert in der Ehe, gescheitert in der akademischen Karriere, gescheitert im politischen Engagement.
    Im August  1937 schreibt er in sein Tagebuch: «Ein Mann, der das Leben dort gesucht hat, wo man es zu suchen pflegt (Ehe, Stellung und so weiter) und unvermittelt beim Lesen eines Modejournals entdeckt, wie sehr er dem Leben fremd war. (Dem Leben, wie es in Modejournalen dargestellt wird).» [90] Diese Notiz ist die Geburtsstunde des
Fremden
, der Geschichte von dem kleinen, alleinstehenden Hafenangestellten in Algier, die Camus’ Weltruhm begründen wird.
    An den Abenden, nachdem er im Institut Tabellen ausgewertet und Aktenstücke sortiert hat, schreibt er weiterhin an zwei Büchern gleichzeitig: an
Der glückliche Tod
, dessen Held Mersault heißt, und an
Der Fremde
, den Camus Meursault tauft. Zwei Romane wie siamesische Zwillinge, die sich ein Herz teilen. Der eine heißblütig und redselig, der andere kalt und verschlossen. Camus lässt sich viel Zeit für die Entscheidung darüber, welcher der beiden überleben und das gemeinsame Herz behalten darf.
    Im Sommer des folgenden Jahres

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