Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
Bäumen in einem allzu herausgeputzten Park aufscheint. Und dann wünscht auch er sich, dass der hasserfüllte Lärm sich lege und alles die innere Stille wiederfinde, die er in sich aufsteigen fühlt.» [94]
Pascal Pia ist nicht nur älter und erfahrener, sondern auch desillusionierter und zynischer als sein begabter Mitarbeiter. Er ist der Erste, der am Mittag in der Redaktion erscheint, und der Letzte, der sie in den frühen Morgenstunden verlässt. Für Camus ist die Zeitung ein Beruf, keine Berufung. An Grenier schreibt er von oben herab, er treibe jetzt Journalismus, «überfahrene Hunde», Literaturkritiken, Reportagen und solche Sachen:
«Sie wissen mehr als ich, wie enttäuschend dieses Métier ist. Aber ich finde darin immerhin einen Anschein von Freiheit – ich werde zu nichts gezwungen, und alles, was ich tue, erscheint mir lebendig. Man trifft hier zwar auch Befriedigungen von eher minderer Qualität: was soll’s. Man hat mir nun endgültig das medizinische Gutachten für das Lehrerexamen verweigert. Eine Regierungskommission hat lange über meinen Fall verhandelt. Das Ergebnis war negativ. Deswegen habe ich die Stelle beim ‹Alger républicain› angenommen. Ich weiß nicht, wie wir beide wieder zusammenkommen können. Je älter ich werde (das ist so eine Redensart), umso einsamer fühle ich mich.» [95]
Camus nutzt den späten Vormittag, um an seinen beiden Romanen über die Herren Mersault und Meursault, an dem Essay über das Absurde und am Theaterstück
Caligula
zu arbeiten. Er macht Pläne für das Théâtre de l’Équipe, wo er den
Caligula
aufführen und selbst die Hauptrolle spielen möchte, und gründet mit seinem Freund de Fréminville den Verlag «Cafre» (Ca für Camus und -fre für Fréminville). Nach wenigen Monaten geben sie ihn wieder auf. Der Journalismus, über den er sich so abfällig äußert, beeinflusst ihn stärker, als er zugibt.
Jean Grenier ist aus Camus’ Leben verschwunden. Seinen Platz hat Pascal Pia eingenommen. Dessen abgeklärter, nüchterner Schreibstil ist die Lehre, durch die er nun geht. Nie wird man ganz ermessen können, ob (wie allgemein behauptet) der unrasierte Realismus der modernen American Novel Camus zu jenem neuen, illusionslosen Stil verhalf, mit dem er im
Fremden
bald überraschen wird, oder nicht doch, was viel wahrscheinlicher ist, Pascal Pia und dessen lakonischem Journalismus die Ehre dieser stilistischen Vaterschaft gebührt. Pia ist derjenige, der Camus mit dem Pariser Zeitgeist vertraut macht, der ihm die «Lyrismen à la André Gide» und das lyrische Geplauder à la Grenier abgewöhnt. Durch Pias Einfluss wird Camus zu jenem später von Roland Barthes gefeierten Helden des Schreibens «am Nullpunkt der Literatur».
Pia macht den mediterranen Provinzler mit der Gegenwart und einem schnellen urbanen Schreib- und Lebensstil bekannt, von ihm lernt er den harten, ironischen Hauptstadtton. Wenn Camus schreibt, er wisse nicht, wie er mit Grenier wieder zusammenkommen könne, ist dies keine Höflichkeits-, sondern eine Abschiedsformel. Die Welt der literarisierenden Lehrstuhlinhaber ist ihm fremder geworden denn je – an der Seite von Pascal Pia kommt Camus in der Moderne an.
Als im Mai 1939 seine lyrische Essaysammlung
Noces
(
Hochzeit des Lichts
) bei Charlot erscheint – eine Hymne an die Sonne und das harte Licht der Mittelmeerküste –, meldet Camus an Grenier, dies sei nun das Letzte von ihm «in diesem Genre» (was nicht stimmt, eine Fortsetzung der lyrischen Essays über Algerien wird 1956 erscheinen). Sein Essay über das Absurde werde ein sehr persönliches Buch. Nichts Akademisches. Keine Belehrungen. Und er plane, nach Griechenland zu reisen, man müsse sich beeilen, gewisse Dinge noch zu sehen, bevor die Kanonen alles ausgelöscht haben würden.
Camus weiß, dass es Krieg geben wird. Gemeinsam mit Pia, der wie Camus seinen Vater im Ersten Weltkrieg verloren hat, spricht er sich bis zuletzt im
Alger républicain
gegen einen Kriegseintritt Frankreichs aus.
Es ist ein Leben auf dem Pulverfass. Jeden Augenblick kann einem die vertraute Welt um die Ohren fliegen. Die beiden Männer, die in den Redaktionsräumen des
Alger républicain
bis spät in der Nacht ihre Artikel in die Schreibmaschine hacken, fühlen sich einsam und umzingelt von Feinden. Das Wort, das Camus in diesen Wochen mit Abstand am häufigsten in die Tasten drückt, ist «misère» – Elend.
Eine Reise zu den Berbern
Im Mai und Juni 1939 erscheint
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