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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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seiner Zeit klar voraussieht, hält er nationale Revolutionen genauso wie jede ausschließlich national agierende Politik für rückwärtsgewandt. Sie sei nichts als ein romantischer Mythos. Die Zukunft Europas sei transnational, das Nationalstaatsdenken mit dem Zweiten Weltkrieg zu Ende gegangen. Camus ist einer der ersten bedingungslosen Europäer.
    Mit seiner Leidenschaft für eine entschiedene Reformpolitik legt Camus in diesen Wochen als Chefredakteur den Grundstein für seine späteren Auseinandersetzungen mit der Pariser Linken, die in ihm einen bürgerlichen Liberalen und Konterrevolutionär sehen wird. Zu Unrecht. Camus votierte am 4 . November 1944 im
Combat
auf Seite eins für einen «chaotischen» Sozialismus, der sich «nicht die Frage nach dem Fortschritt stellt», sondern davon überzeugt ist, dass das «Geschick des Menschen allein in den Händen der Menschen» liegt. «Dieser Sozialismus glaubt nicht an absolute und unfehlbare Doktrinen, sondern an die hartnäckige, chaotische, unermüdliche Verbesserung des menschlichen Lebens.» Das klingt schon ganz nach dem libertären Autor des späteren großen Essays
Der Mensch in der Revolte
.
    Noch in einer anderen Grundsatzfrage nahm Camus Positionen seines politischen Essays vorweg, mit dem er sich im Jahr  1952 für immer von der Pariser Linken verabschieden wird: Camus akzeptierte keine politische Idee, für die man ein Menschenleben opfern durfte. Robert Brasillach, ein nazistischer und antisemitischer Autor, der mit den Deutschen kollaboriert hatte und die nazistische Wochenzeitung
Je suis partout
herausgab, wird am 19 . Januar 1945 zum Tode verurteilt. Camus beteiligt sich an einem Gnadengesuch an de Gaulle. Obwohl er Brasillach nie die Hand gegeben hätte und seine Publikationen verurteilte, war er als strikter Gegner der Todesstrafe der Auffassung, dass der Autor nicht mit seinem Leben büßen sollte. Sein Vater, der einmal bei einer Hinrichtung zugesehen und sich danach zu Hause übergeben haben soll, ist Camus auch in dieser Frage ein ethischer Kompass gewesen. Sartre und Beauvoir unterzeichnen das Gnadengesuch nicht. Robert Brasillach wird am 6 . Februar 1945 hingerichtet.
    Obwohl Camus den pompösen Schmuckstil seiner ersten Artikel bald ablegt und zu einem schlankeren und offensiven Ton findet, für den er gerühmt und der häufig imitiert wird, fühlt er sich im Korsett der Leitartikelprosa unwohl. In einem erstaunlicherweise «Selbstkritik» betitelten Text schrieb er schon am 22 . November 1944 , dass der Journalist der «Gefahr des Moralismus» nur «durch Ironie» entkommen könne. Auch in seinem journalistischen Glaubensbekenntnis im
Soir républicain
hatte Camus die Ironie zu einer der wichtigsten Voraussetzungen für einen intelligenten modernen Journalismus erklärt. Damit war er seiner Zeit voraus. «Wir befinden uns leider nicht in einem ironischen Zeitalter», endete seine «Selbstkritik», wie um sich für seine eigene angespannte Prosa im
Combat
zu entschuldigen. Wenn das ironische Zeitalter sehr viel später anbricht und den Journalismus in seinen Bann zieht, wird er nicht mehr am Leben sein.
    Daneben beschäftigten Camus die alltäglichen Sorgen eines Chefredakteurs: Soll man über Marlene Dietrich berichten, wenn sie in Metz auftritt? Er weiß natürlich, dass die Langeweile für eine Zeitung tödlicher sein kann als der Moralismus. Camus entschied trotzdem dagegen: «Die Kapricen eines Stars sind in Kriegszeiten weniger interessant als das Leid des Volkes, das Blut der Armee oder die erbitterte Anstrengung einer Nation, ihre Wahrheit zu finden.» Das war verständlich. Nur mit den Beinen von Marlene machte man noch keine gute Zeitung. Nur mit Blut, Wahrheit und erbitterter Anstrengung allerdings auch nicht.
    Im Frühjahr  1945 reiste Camus für den
Combat
durch seine algerische Heimat. Als das endgültige Kriegsende in Sicht war, brach die Gewalt hier unvermittelt aus; die Araber und Berber forderten eine eigene Verfassung, einen autonomen Staat, in Sétif kam es zu Demonstrationen für die Freilassung ihres Anführers Messali Hadj. Die Aufstände wurden blutig niedergeschlagen, die aufgebrachte Menge rächte sich und ermordete willkürlich französische Bürger. Es waren die Vorboten des algerischen Konflikts, der Camus bis zu seinem Lebensende nicht mehr loslassen wird.
    Camus bringt im Mai  1945 sechs Artikel über die Lage in Algerien im
Combat
, ohne die Forderungen der Aufständischen zu kommentieren. Er verlangt

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