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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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vollständiges Ende der französischen Herrschaft in Algerien legt Camus in den folgenden Wochen und Monaten in seinen Artikeln im
Express
, in öffentlichen Briefen und Vorträgen dar.
    Seine Vorschläge für die unlösbar erscheinende algerische Situation klingen maßvoll und vernünftig. Einen «runden Tisch» wünscht er sich, einen Waffenstillstand, ein Ende der Gewalt, insbesondere gegen die unschuldigen Opfer, Zugeständnisse, Kompromisse und vor allem: einen Ausgleich. Er räumt ein, dass der Kolonialismus ein Fehler war, der beseitigt werden müsse; zugleich sollen die
Pieds-noirs
, die Algerienfranzosen, in ihren Rechten nicht beschnitten werden.
    Es sind vor allem drei Argumente, die ihn in die schwierige Lage bringen, den Kolonialismus abzulehnen, aber die Kolonisten zu verteidigen. 1 . Die Kolonisten lebten schon seit über hundert Jahren in dem Land, sie seien gleichsam kraft ihrer schieren Ausdauer selbst zu «Eingeborenen» geworden. 2 . Die Algerienfranzosen seien außerdem zu zahlreich; es sei unmöglich, 1 , 2  Millionen Kolonisten zu «vertreiben». 3 . Sie seien selbst arme kleine Leute und keineswegs gierige Kapitalisten, die das Land mit Peitsche und Cadillac in Besitz nähmen.
    Auf seinen alten Vorschlag aus der Zeit des Blum-Viollette-Plans, die Elite der Araber zu assimilieren und zu französischen Staatsbürgern zu machen, sofern sie auf die islamische Rechtsprechung verzichteten und das laizistische französische Schulwesen akzeptieren, kommt er nicht wieder zurück. Inzwischen tritt er für eine muslimisch-französische Konföderation ein und unterstützt den algerischen Rechtswissenschaftler Marc Lauriol sowie dessen Vorschlag, im Geist eines großen «französischen Commenwealth» je eine muslimische und eine französische Parlamentssektion mit autonomen Befugnissen und Rechten auszustatten. «Wir sind dazu verdammt, zusammen zu leben» [259] , schreibt er in einem offenen Brief an den militanten algerischen Sozialisten M. Aziz Kessous.
    Am 18 . März 1956 trifft Camus am Flughafen von Algier ein, in der Aktentasche sein Redemanuskript: «Aufruf zu einem Burgfrieden in Algerien». Er wird empfangen wie ein Staatsmann, von Sicherheitskräften eskortiert, im Luxushotel Saint-Georges, wo er logiert, klingelt das Telefon, ein anonymer Anrufer übermittelt Morddrohungen. Am 22 . März spricht er in der «Grande Salle du Cercle» am Fuß der Kasbah. Die Lage ist explosiv. Das arabische Publikum empfängt ihn mit lauten Rufen: «Nieder mit Camus», «Raus mit Camus», militante Anhänger der Befreiungsfront FLN und ultrarechte Kolonialisten heizen die Stimmung auf. Camus, begleitet von seinem Bruder Lucien und dessen Freunden, spürt vom ersten Augenblick an, dass diese Partie verloren ist. Er tritt ans Mikrophon, spricht von seiner großen persönlichen Enttäuschung. Wie sei es möglich, fragt er, dass man einem Schriftsteller, der einen Teil seines Lebens in den Dienst an Algerien gestellt habe, Redeverbot erteile, bevor man überhaupt wisse, was er sagen wolle. Er appelliert an Araber und Kolonialisten, im Namen der «Liebe zu unserer gemeinsamen Erde» die Zivilbevölkerung zu schonen und zu einem solidarischen und brüderlichen Zusammenleben aller in Algerien ansässigen Rassen zu finden. Seine Worte gehen im Tumult unter, und Camus verlässt, kaum dass er geendet hat, fluchtartig den Saal.
    Sein Plädoyer für einen dritten Weg zwischen Kolonialismus und militantem Nationalismus erscheint damals allen Seiten naiv. Er verabscheut den panarabischen Imperialismus, der sich im barbarischen Vorgehen der arabischen Befreiungsbewegung ankündigt, die auch die eigene Bevölkerung mit Terror und Gewalt überzieht. Zugleich weiß er, dass die Zeit des europäischen Kolonialismus abgelaufen ist und auf keine Weise verlängert werden kann. Zwischen den Fronten schlug er sich auf die Seite der kleinen Leute, die wie seine Eltern und Großeltern in Algerien ein armes und anständiges Leben führten, das einem Leben in Frankreich in vielem nachstand. Nie könnte er der Vertreibung «seiner Leute» zustimmen.
    Aus heutiger Sicht mag man bedauern, dass seine Vorschläge nicht mehr Gehör fanden. Ein dritter Weg hätte weniger Opfer bedeutet, weniger Gewalt, weniger staatlichen Imperialismus, weniger islamischen Fanatismus. Camus’ Prognose hat sich auch hier als zutreffend erwiesen: «Morgen wird Algerien ein Land voller Ruinen und Toter sein, das keine Kraft und keine Macht der Welt in diesem

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