Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
und Geheimnisse, die für Augenblicke aus ältesten Zeiten herüberzuwehen scheinen. Ein paar Tage später saß er im Flugzeug nach Paris und zog in der Rue de Chanaleilles die Tür hinter sich zu.
Camus’
Heimkehr nach Tipasa
ist nach der stilistischen Askese des
Fremden
und dem weiß gekachelten Chronistenton der
Pest
ein besonders persönliches und poetisches Buch, das ungeschützt die algerische Mystik eines erlösungsbedürftigen Pariser Kultautors in privater und künstlerischer Krise beschwört. Die seinen Verfasser quälende Frage, wie sich die uralten Emphasen und Träume von den elementaren Dingen, von Erde, Himmel und Sternen, ohne die er sich lebendig begraben fühlt, in ein modernes Leben mit Sekretariat, Großstadtverkehr, Etagenwohnung und Lektoratskonferenz überführen lassen, bleibt indes weiter ungelöst.
«Ich bin nicht modern», schreibt er in diesen Wochen trotzig ins Tagebuch – und ist es natürlich doch. Die vielen Briefe, in denen er um Milde für politische Gefangene und selbst für politische Gegner bittet, die vielen Vorworte, Nachworte und Vorträge, der Journalismus, der ihn bald wieder gefangen nimmt, die Herausgabe seiner politischen Essays in den drei Bänden der
Actuelles
– sein tagtäglicher «Dienst am Unglück», wie er sein Pariser Autorenleben nennt, hält ihn in der Gegenwart fest. Der alte Grieche und der moderne Pariser bleiben unversöhnt. Wie er auch zeitlebens ein Algerier in Frankreich und ein Franzose in Algerien bleiben wird. Das Exil wird seine Heimat. Camus beklagt und lebt diese Widersprüche. Paradoxien sind für ihn die eigentliche Lebensquelle. Und die beste Lösung ist ja noch immer die Sisyphos-Lösung: Was nicht zu ändern ist, muss man aushalten.
Bleibt die Immobilienfrage. In dem Tipasa-Essay gibt es eine Stelle, die den Immobilienbeauftragten Char interessieren müsste:
«Das Geheimnis, das ich suche, ist in einem Tal mit Olivenbäumen vergraben, unter dem Gras und den kühlen Veilchen, bei einem alten Haus, das nach Weinranken duftet». [253]
Während sein Haus im Lubéron noch gefunden werden muss, gibt es in der neuen Essaysammlung schon einmal einen für Camus ungewöhnlich spirituellen Text über die provenzalische Landschaft, in der er wie sein Freund René Char heimisch werden möchte. Darin spekuliert er über das «glückhafte Geheimnis» der Welt. Im Zentrum des Universums stehe nicht die karge Sinnlosigkeit, sondern das «Rätsel, das heißt ein Sinn, der schwer zu verstehen ist, weil er blendet». Sein eigener Lebensroman als Nachkriegsheld des Absurden und der Hoffnungslosigkeit ist ihm in jeder Hinsicht verleidet; als alternder Star sehnt er sich zurück nach der namenlosen elementaren Welt seiner Herkunft: «Im schwärzesten Pessimismus sehe ich nur Gründe, ihn zu überwinden. Nicht aus Tugend noch aus einer seltenen Seelengröße heraus, sondern aus instinktiver Treue zu dem Licht, in dem ich geboren wurde und in welchem seit Jahrtausenden die Menschen gelernt haben, das Leben zu bejahen bis in seine Leiden hinein.» [254] Er porträtiert sich als der Abkömmling eines paradiesischen Erdzeitalters, der sein schreckliches Jahrhundert nur ertrage, weil im Herzen seines Werkes, auch wenn es dunkel sei, eine «unversiegbare Sonne» strahle.
In diesem kurzen, «Das Rätsel» genannten Text geht es um die Gerüche der Erde, die Stille, das Blau des Himmels, die Klarheit des Lichts, das Schweigen der Steine. Die Themen und Träume seiner Jugend kehren in der Krise der letzten Lebensjahre mit Macht zurück – die Griechen und alles, was der Erzähler über sie bei Nietzsche gelernt hat, seine Gedanken über die nordafrikanischen Philosophen Plotin und Augustinus, Greniers ostasiatischer Einfluss und die Utopie einer mediterranen Internationale. Camus trägt in diesen Essay alles hinein, was er benötigt für sein letztes großes Buch, von dem er glaubt, dass mit ihm sein Werk überhaupt erst beginne. Seit Jahren ist in den Tagebüchern davon die Rede, am 15 . März 1954 erzählt er einem Reporter der
Gazette de Lausanne
, dass er jetzt an dem wichtigsten Buch seines Lebens arbeite –
Der erste Mensch
.
Die Traurigkeit, recht zu behalten
Das Pariser Leben bleibt schnell und aufreibend. Francine muss nach ihrem Fenstersprung für Monate einen Beckenbruch in der Klinik kurieren. Jacques Servan-Schreiber gründet eine neue Zeitschrift, den
Express
, der so etwas wie der
Figaro
für die Linke werden soll. Ein Blatt, in dem linke
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