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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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und Jean Grenier halten die Totenwache. Roblès kommt der Tote heiter vor, er scheint zu schlafen. [305]
    Am Dienstag, dem 5 . Januar, wird der Tote wieder in Lourmarin sein, nur 48  Stunden nach der Abreise. In der zweiten Nacht halten Francine, René Char, Camus’ Bruder Lucien, Jean Grenier, Emmanuel Roblès, der algerische Schriftstellerfreund Jules Roy, Louis Guilloux und der Freund aus Studententagen Robert Jaussaud die Totenwache. Camus’ Mutter war informiert worden. Sie hat nicht geweint. «Das ist zu jung», soll sie gesagt haben. Dann hat sie wieder geschwiegen, aus dem Fenster gesehen, ihre Kittelschürze mit den knotigen Händen glatt gestrichen. Sie ist noch im selben Jahr gestorben.
    Am Mittwochmorgen wird der Sarg vom Haus in Lourmarin direkt auf den Friedhof getragen. René Char, Francine unter einem großen Kopftuch, der Bruder Lucien folgen zu Fuß. Die Geliebten halten sich im Hintergrund. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.
    Ein paar Wochen nach seinem Tod erscheint in New York, im Magazine
Venture
, das letzte Interview, das er gegeben hat. Gefragt, was man an ihm in seinem Leben am meisten missachtet habe, antwortete er – als käme seine Stimme aus dem Grab: «Meine dunkle Seite». [306]

Epilog
    Ort und Zeit:
Lourmarin und Paris, 2013

Auf der Terrasse von Lourmarin
    Seit einem halben Jahrhundert liegt Albert Camus auf dem Friedhof von Lourmarin, Lavendel und ein großer Oleander überwuchern das Grab. Neben ihm liegt «Madame Albert Camus», geborene Francine Faure. Links und rechts die Gräber der kleinen Leute der Provence, gemauerte Familiengräber im Gartenhausformat, Plastikblumen, Grabschmuck aus Hongkong, die misstrauischen Blicke der Toten auf den kleinen emaillierten Grabbildern verfolgen den Besucher – keine passende Umgebung für einen der größten französischen Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts. Das mag sich jedenfalls Nicolas Sarkozy gedacht haben, als er Camus im Jahr 2009 unbedingt hier wieder ausgraben und ins Panthéon nach Paris verbringen wollte.
    Camus’ Kinder leben mit dem übergroßen Schatten, den ihr Vater bis in jeden Winkel ihres Lebens wirft – als moderner Klassiker und säkularer Heiliger in den Köpfen von Millionen Lesern, die Camus verehren als Ikone des vorbildhaft moralischen und aufrecht desillusionierten Intellektuellen. Jedes der Kinder hat für sich allein eines der beiden unvereinbaren Leben des Vaters zu Ende gelebt. Catherine das sonnenbeschienene, einfache Mittelmeerleben in Lourmarin. Jean das lichtlose, melancholische Intellektuellenleben in der Rue Madame in Paris.
    Klopft man in der Rue Albert Camus in Lourmarin an das große Holztor, öffnet eine zierliche blonde Frau, die sich mutig einem belastenden Erbe stellt: Catherine Camus, umsprungen von ihren vier Hunden, begleitet von einem jungen Sekretär. Sie verwaltet das Werk ihres Vaters, sie pflegt das Grab der Eltern, sie hat den dritten Band der Tagebücher ediert und in mühsamer Entzifferungsarbeit das beinahe unleserliche nachgelassene Manuskript des
Ersten Menschen
transkribiert, zum zweiten Mal, denn auch ihre Mutter hatte in den neunzehn Jahren, die sie Camus überlebte, das Manuskript bereits übertragen.
    Die Tochter hat lange überlegt, ob sie die Offerte des französischen Präsidenten annehmen sollte. Viele Unbekannte hätten ihr geschrieben in jenen Wochen des Abwägens und Zögerns, erzählt sie mir im Arbeitszimmer ihres Vaters mit dem atemberaubenden weiten Blick in den Lubéron. Besonders die kleinen Leute hätten sie bedrängt, der Umbettung zuzustimmen, für sie, sagt Catherine, sei es ein Zeichen und eine Auszeichnung gewesen dafür, dass einer der ihren es so weit gebracht habe – bis ins Panthéon. Camus wäre dann nicht länger der Grabnachbar der Familien Baptiste und Juriens mitsamt deren Plastikrosen und Porzellanvergissmeinnicht auf dem Dorffriedhof, hinter dem sich die duftende provenzalische Landschaft öffnet: Mohnblumen, Zypressen, Iris, Pinien und Blumenwiesen, auf denen Eselherden weiden. Er ruhte unter schweren Marmordeckeln mit güldenen Inschriften Seite an Seite mit Voltaire und Rousseau und Malraux in Paris, wo Jean in der Rue Madame Klavier spielt, wo Gallimard seine Bücher weiter verlegt, wo noch immer seine gealterten Geliebten Catherine Sellers und die Dänin Mi leben. Sie habe geschwankt und schließlich zugestimmt. Zum allerletzten Mal musste es im Leben des Vaters eine Entscheidung zwischen Norden und Süden, Ehre und

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