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Canale Mortale (German Edition)

Canale Mortale (German Edition)

Titel: Canale Mortale (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Schumacher
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Gasse abgebogen. Sie
horchte. Nichts. Vielleicht wartete er hinter der Ecke auf sie. Sie sah sich
um. Die Paläste auf der Kanalseite gegenüber schienen viel weiter entfernt als
am Tag. Zwei Vaporetti fuhren in Richtung Bahnhof, aber sie waren schon zu weit
weg. Niemand würde sie rufen hören. Das Tuckern der Dieselmotoren entfernte
sich.
    Sie war in der Falle. Auf den letzten zwanzig Metern hatte sie keine
Haustüren mehr gesehen. Wenn sie irgendwo klingeln wollte, müsste sie ein Stück
zurückgehen. Es war zu spät. Unter ihr leckte nur das Wasser an den Mauern,
sonst war es still. Eine heiße Woge Angst schoss in ihr hoch, als sie sich noch
einmal umsah.
    Links von ihr hatte die Fassade eines Palazzos einen schmalen
Marmorvorsprung, der etwas über das Wasser des Kanals ragte. Sie kletterte auf
den Absatz und klammerte sich in den Schründen der Ziegelmauer fest. Zentimeter
um Zentimeter schob sie sich weiter an der Hauswand entlang. Wenn sie es bis
zum Wassertor schaffte, war sie vielleicht gerettet. Man konnte sie aus der
Gasse nicht sehen, und an der Bootsanlegestelle könnte sie ihr Handy
herausholen und mit dem Notruf die Polizei verständigen.
    Dann stockte ihr der Atem. Sie hörte Schritte näher kommen. Also
hatte der Mann tatsächlich weiter hinten in der Gasse auf sie gewartet? Sie
drückte sich fest an die modrig riechende Mauer. Er musste jetzt an der Stelle
sein, an der sie selbst eben noch gestanden hatte. Antonia roch den Rauch
seiner Zigarette. Es war der bittere Geruch von schwarzem Tabak. Jetzt schien
er etwas zu murmeln und leise zu fluchen. Dann hörte sie, wie der Mann in den
Kanal pinkelte und zurückging. Ihre Knie zitterten. Sie bewegte sich noch etwas
vorwärts zu einem Pfahl, der vor ihr aus dem Wasser ragte, umarmte das Holz wie
einen guten Freund und atmete auf. Weshalb war der Kerl ihr gefolgt? Kannte er
sie? War es Zufall? Sie wartete noch eine ganze Weile und kletterte dann
vorsichtig über den Mauerabsatz in die dunkle Gasse zurück. Von da aus lief sie
immer geradeaus, bis sie auf die Calle delle Botteghe kam, die zum Campo San
Stefano zurückführte. Benommen mischte sie sich unter die abendlichen
Spaziergänger, bis sie wieder den belebten Campo erreichte.
    Als sie das Apartment betrat, waren Florian und Rita noch nicht
wieder zurück. Mit zitternden Fingern suchte sie nach der Flasche Brandy, die
Florian im Duty-Free-Shop gekauft hatte. Auf ihrer Mailbox war ein Anruf von
Jana, die mit den beiden anderen noch in die Sky-Bar des Hilton hinübergefahren
war. Ob sie Lust habe, auch noch auf die Giudecca zu kommen? Antonia rief nicht
zurück, nahm stattdessen einen kräftigen Schluck aus der Brandy-Flasche, um
sich zu beruhigen, und schaltete ihren Laptop ein.
    Sie hatte Aram Singer morgens eine weitere E-Mail geschickt, weil er
bisher nicht geantwortet hatte. Er musste längst in Israel sein. Sie hatte ihr
Bedauern über den Tod seiner Tochter ausgedrückt und ihn gebeten, ihr zu
helfen. Es sei sehr wichtig, denn die Familie Falieri sei in großen
Schwierigkeiten. Jetzt fand sie eine lange E-Mail von ihm vor.
    Liebe Antonia Babe,
    wie Sie mir
schrieben, haben Sie vom traurigen Schicksal meiner einzigen Tochter gelesen.
Ich bin zweimal nach Italien geflogen, um die Herausgabe eines Bildes zu
veranlassen, das unserer Familie gehört.
    Bevor meine
Schwiegereltern 1942 in die USA emigrierten, haben sie dem Vater des Conte ein kostbares Gemälde,
einen mutmaßlich echten Tizian, anvertraut. Er sollte das Bild für sie
aufbewahren, damit sie nach dem Krieg eine Existenzsicherung hätten, falls sie
nach Italien zurückkehrten. Sie sind schließlich in den USA gestorben, ohne Venedig
noch einmal gesehen zu haben. Sie haben meiner Frau früher jedoch immer wieder
von Mauro Falieri und dem Bild erzählt. Meine Frau hat es nicht ernst genommen,
aber als unsere Tochter so krank wurde und wir das Geld für die Operation nicht
aufbringen konnten, hat sie sich in ihrer Verzweiflung daran erinnert. Wir
haben auch eine Art Empfangsbestätigung vom Vater des Conte. Ein kleiner
vergilbter Zettel, auf dem er in handschriftlicher Form den Erhalt des Bildes
quittiert und die Eltern meiner Frau als seine Eigentümer benennt.
    Ich bin nach
Venedig gereist, um Mauro Falieri dieses Schreiben zu zeigen und ihn zur
Herausgabe des Bildes zu bewegen. Dieser tat jedoch so, als wüsste er von
nichts. Er wisse nur von einer Tizian-Kopie, die sein Vater seinerzeit von
meinen Schwiegereltern überlassen bekommen

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