Canale Mortale (German Edition)
politischen Oppositionellen eingesetzt hat und
dafür von den Deutschen bedroht wurde!«
Unten ertönte wieder der Gong, und diesmal wurde er heftig und
durchdringender geschlagen. Giovanna schien erbost, dass nicht alle bei Tisch
erschienen. Antonia und Jana verabschiedeten sich von dem alten Mann; Jana,
indem sie ihn auf die Wange küsste, und Antonia, indem sie sich für seine
Auskunft bedankte.
Nach dem Essen, zu dem Octavia auch Rita eingeladen hatte,
spielten Octavia und Florian nacheinander auf dem Flügel. Am Ende des Abends
harmonierten die beiden sehr gut bei einem vierhändigen Stück, einem Menuett
von Mozart, und Antonia sah den konzentrierten Ausdruck in Florians Gesicht,
den sie so an ihm liebte. In Gedanken war sie jedoch bei den Widersprüchen, mit
denen sie bei diesem Fall zu kämpfen hatte. Warum hatte der Conte nicht gleich
gesagt, dass Singer ein Bild wollte, das er nicht mehr besaß? Wieso diese Lüge
mit der Venus-Kopie, die er nicht herausgeben wollte?
In diesem Moment beendeten Octavia und Florian ihr Klavierspiel.
Tante Alba, Jana und Rita klatschten Beifall, und selbst Ugo, der sich während
der Darbietung meist über sein Smartphone gebeugt hatte, schien vom Spiel der
beiden angetan. Florian machte eine Verbeugung und wies auf Octavia, als
gebühre der Beifall ihr allein. Dann ergriff er die Hand seiner Gastgeberin und
beugte sich zu einem Handkuss über sie. Antonia sah Octavia das erste Mal, seit
sie angekommen waren, lächeln. Es verjüngte sie um Jahre, und für einen Moment
hätte man meinen können, sie sei Janas ältere Schwester.
11
Rita hatte Antonia gebeten, sie an ihrem letzten Tag zur
Insel Murano zu begleiten. Sie war guter Dinge, und obwohl sie immer noch über
»kaputte Füße« klagte, ging sie unverdrossen voran. Zielstrebig betrat sie
jeden Souvenirshop, um ausgiebig Preise für Leuchter, Gläser und Skulpturen zu
vergleichen. Nach dem fünften Laden zog Antonia es vor, alleine weiterzugehen
und sich die Basilika, die Don Orione ihr empfohlen hatte, anzusehen. Der
Ziegelbau schimmerte rosafarben in der Sonne, und die eleganten, weiß
getünchten Säulen erinnerten an Zuckerguss. Im Inneren der Kirche bewunderte
sie das alte Fußbodenmosaik aus Marmor und farbigen Glaspasten. Aber überall,
wo sie sich auch bewegte, ob in der Stadt oder hier auf Murano, gingen ihr der
Conte, Aram Singer und die sieben Märtyrer nicht aus dem Sinn.
Sie traf Rita zum Essen auf der Terrasse der »Trattoria Da Lele« und
erzählte ihr von ihrem Besuch im Bildersaal des Conte.
Rita schüttelte den Kopf. »Was ich nicht kapiere«, überlegte sie
halblaut, »ist, warum dieser Singer noch mal wiedergekommen ist.«
Antonia nickte. »Und was mich noch mehr irritiert, ist die Tatsache,
dass der Conte offenkundig gelogen hat. Er hat so getan, als sei das Bild der
Schwiegereltern gar nicht Anlass für Singers Besuch gewesen. Er wollte mir
weismachen, Singer sei Kunsthändler und habe ihm die Venus-Kopie abschwatzen
wollen. Singer hingegen behauptet, der Conte habe ihm gerade die Venus-Kopie
angeboten. Und gestern bestätigt mir der Conte, dass es tatsächlich einmal
einen echten Tizian der jüdischen Familie gegeben haben soll, dieser aber an einen
Nazi-Offizier abgetreten wurde. Was soll man denn nun glauben?«
Rita rollte eine große Portion Spaghetti Marinara sorgfältig auf
ihrem Löffel zusammen. »Mhhmm, die sind sehr gut. Das Problem mit dem Conte ist
auch, dass alte Leute manchmal selbst an die Geschichten glauben, die sie
erfunden haben. Deshalb ist es wahrscheinlich zwecklos, ihn weiter
auszuquetschen. Das Wichtigste ist jetzt, dass du herausbekommst, welches Bild
das jüdische Paar damals den Falieris zur Aufbewahrung gegeben hat. Eventuell
ist es ja irgendwo aufgetaucht und hängt jetzt in einem Museum. Hast du schon
nach der Fotografie gefragt?«
Aus der Arbeit in der Detektei wusste Antonia, dass Rita zu raschem
Handeln neigte und bei Untersuchungen keinerlei Aufschub duldete.
»Ich werde Singers Frau bitten, mir das Foto per E-Mail zu
schicken.«
Antonia, die sich nur eine Vorspeise bestellt hatte, sah jetzt zu,
wie Rita den großen Teller Pasta systematisch leerte. Nach einigem Zögern
erzählte sie der Kollegin von dem, was ihr gestern in der nächtlichen Gasse
hinter dem Campo San Stefano passiert war.
»Kann sein – kann nicht sein«, war Ritas Kommentar, als Antonia
daran zweifelte, ob der Mann sie bewusst verfolgt hatte.
»Vielleicht wollte er mich nur
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