Canale Mortale (German Edition)
Frage.«
Der Conte drehte sich erschrocken um, zögerte kurz, dann kehrte er
zu seinem Sessel zurück. Schwerfällig ließ er sich nieder und hob auffordernd
eine Hand.
»Conte Falieri, können Sie mir sagen, was es mit dem Gemälde der
Familie Singer auf sich hat? Ich habe erfahren, dass die Eltern von Frau Singer
Ihrem Vater ein Gemälde in Obhut gegeben haben, bevor sie in die USA emigrierten.«
Der Conte antwortete nicht, und Antonia hatte für einen Moment den
Eindruck, er sei eingeschlafen. Seine blasse Haut wirkte wächsern, und er hielt
die Augen geschlossen. Nur seine Hände hielten die Sessellehnen so umkrampft,
als wolle er jeden Augenblick aufspringen. Antonia wollte ihre Frage gerade
wiederholen, als er eine Hand hob und Jana heranwinkte. Er bat sie, sich zu ihm
zu beugen, und begann ihr etwas ins Ohr zu raunen. Antonia fühlte sich für
einen Augenblick an eine Filmszene aus »Der Pate« erinnert.
Als der Conte geendet hatte, bedeckte er sein Gesicht mit beiden
Händen, als wolle er schlafen. Er hatte so leise gesprochen, dass Antonia ihn
nicht verstanden hatte. »Was hat dein Großvater gesagt?«
»Er sagt, dass während der deutschen Okkupation immer wieder ein
deutscher Offizier bei seinem Vater aufgetaucht sei, Kunsthistoriker und
Tizian-Liebhaber, der keinen Hehl daraus machte, dass er die Gemäldesammlungen
der Stadt nicht schonen würde. Sein Vater habe alles tun wollen, um ihn von
seinen räuberischen Absichten abzubringen. Also hat er ihn mehrfach zum Essen
eingeladen und ihm ein Bild aus seiner Sammlung versprochen. Einen echten
Tizian!« Jana hatte vor Aufregung ein rotes Gesicht bekommen. »Stell dir das
mal vor, wir hatten einen Tizian, hier im Palazzo …«
Antonia unterbrach sie ungeduldig: »Was hat er noch erzählt? Dann
stimmt es also: Er hat von Familie Singer einen Tizian in Verwahrung genommen?
War es das Bild, das er dem Offizier gegeben hat?«
»Ja. Großvater sagt, sein Vater wusste, dass er dem Offizier keine
Fälschung unterjubeln konnte, denn er wollte Experten aus Deutschland und
Italien hinzuziehen, um sicher zu sein, dass er ein echtes Bild bekam. Also hat
mein Urgroßvater dem Offizier das Bild der jüdischen Familie überlassen. Der
Deutsche ist später in einen Hinterhalt der Partisanen geraten und getötet
worden. Wir haben nichts mehr von dem Bild gehört. Dann sind die Amerikaner
gekommen, und unsere Sammlung war gerettet.«
Antonia war erstaunt über Janas Verwendung des »wir«. Sie schien
sich ganz und gar mit ihrer Familie zu identifizieren, obwohl sie gerade
erfahren hatte, wie ihr Urgroßvater mit dem ihm anvertrauten Bild verfahren
war.
Antonia sah zu Conte Falieri hinüber, der in seinem Drehstuhl auf
eine Art zusammengesunken war, die an Octavia erinnerte, wenn sie sich im Salon
in ihren großen Sessel verkroch. Jana beugte sich ein Stück tiefer zu ihm
hinab. Bevor er weitersprach, fragte Antonia ihn, ob er tatsächlich nicht
wisse, wo das Bild geblieben sei. Sie wusste, dass ihr Benehmen ungehörig war,
aber sie hatte keine Lust, den Conte länger mit Samthandschuhen anzufassen.
Immerhin hatte er ihr eben noch eine ganz andere Geschichte über Singer
aufgetischt.
Der Conte richtete sich wieder auf. Als er seine übliche unnahbare
Haltung eingenommen hatte, antwortete er, wobei er nur seine Enkelin ansah.
»Mein Vater hat mir in den fünfziger Jahren, kurz vor seinem Tod, von dieser
Absprache mit dem Deutschen erzählt. Wir haben nie erfahren, wo das Bild
geblieben ist. Vermutlich hat der Offizier es außer Landes gebracht.«
»Ist von diesen Vorgängen je etwas an die Öffentlichkeit gekommen?«,
fragte Antonia.
Der Conte hatte seine Fassung wiedergewonnen und antwortete auf die
Frage mit großer Ruhe: »Nein, niemals. Im Accademia-Museum wusste man Bescheid.
Man hat es meinem Vater hoch angerechnet, dass er mit seinem Geschenk das
Museum und andere Sammlungen geschützt hat. Es sollte ihm sogar die
Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen werden. Bevor es jedoch dazu kam, ist er
gestorben.«
Von unten erscholl jetzt erneut der Gong durchs Haus, lauter als
beim ersten Mal. Antonia blieb hartnäckig.
»Standen Sie oder Ihr Vater in Verbindung zu den sieben Männern, den
Sette Martiri, die von deutschen Soldaten im August 1944 aus Vergeltungsgründen
umgebracht wurden?«
Der Conte schaute sie erstaunt an. Antonia hatte den Eindruck, dass
sein Erstaunen echt war. »Wie kommen Sie darauf? Ich sagte Ihnen doch schon,
dass mein Vater sich für die
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