Canale Mortale (German Edition)
Apartments. Antonia machte verschlafen auf. Florian lag noch im Bett, er
gönnte sich heute einen freien Tag. Vor der Tür stand Jana und fiel ihr weinend
um den Hals. Man hatte Octavia aus dem Krankenhaus angerufen. Der Conte sei in
den frühen Morgenstunden gestorben.
Antonia führte die Freundin in die Küche und kochte Kaffee. Während
sie Jana zu trösten versuchte, ging ihr gleichzeitig durch den Kopf, dass ihr
wichtigster Informant jetzt nichts mehr sagen konnte, und sie spürte fast so
etwas wie Erleichterung. Nach dem Tod des Conte würden keine weiteren Briefe
mehr kommen. Damit war der Fall für sie abgeschlossen, und sie könnte endlich
unbeschwert die Stadt genießen. Sie würde noch heute mit Octavia sprechen.
Sie begleitete Jana nach unten, wo sie Octavia und Tante Alba im
Salon antrafen. Beide wirkten gefasst, aber als Antonia ihnen ihr Beileid
ausgesprochen hatte und anmerkte, jetzt habe auch die Sache mit den Drohbriefen
und ihre Untersuchung ein Ende, wurde sie von Octavia unterbrochen.
Die ewig unentschiedene Frau wirkte plötzlich kalt und entschlossen.
»Diese Briefe haben meinen Vater umgebracht, und ich möchte wissen, wer
dahintersteckt. Ich möchte, dass diese Leute bestraft werden.«
In diesem Moment erschien Flavia in der Tür und kündigte den
Mitarbeiter des Beerdigungsinstituts an, der mit Octavia die Bestattung
besprechen wollte. Der Conte sollte im Familiengrab auf San Michele beigesetzt
werden. Antonia forschte in Flavias Miene nach Anzeichen, ob der Tod des
Hausherrn irgendeine Regung in ihr hervorgerufen hatte. Flavias Verhalten war
jedoch korrekt wie immer, ihre Miene unergründlich. Antonia konnte sich keinen
Reim auf diese Frau machen. Sie war mit großer Wahrscheinlichkeit Guidos
Geliebte, aber wusste sie auch etwas von dessen Verbindung zu Aram Singer oder
seiner Beziehung mit Jana? Wenn ja, war es zu früh, sie danach zu fragen. Es
war besser, sie in Sicherheit zu wiegen und so zu tun, als wüsste sie nicht,
dass sie und Guido sich kannten.
Bevor sie sich wieder nach oben begab, gab sie Octavia den Rat, sich
nach der Beerdigung mit den Drohbriefen an die Polizei zu wenden.
Oben fand sie Florian am Frühstückstisch sitzen. Er war guter Dinge.
Seine Proben waren am Vortag gut gelaufen, und er sah dem Konzert jetzt
entspannter entgegen. Antonia setzte sich auf seinen Schoß und schlang ihre
Arme um seinen Hals.
»Ich glaube, mein Fall ist mit dem Tod des Conte abgeschlossen.«
»Wir könnten heute, wenn auch bei dir nichts anliegt, endlich mal
etwas ohne diese vermaledeite Familie machen«, murmelte Florian in ihr Haar.
»Dass der Conte gestorben ist, tut mir leid. Aber wir beide sollten mal raus
aus Venedig. Was hältst du von Padua?«
Zwei Stunden später schlenderten sie durch die Straßen von
Padua, wichen Autos und Motorrädern aus, an deren Abwesenheit sie sich in
Venedig gewöhnt hatten, gingen über den Markt und besuchten die Kirche mit den
Giotto-Fresken. Antonia war hingerissen von den Fresken, besonders von der
Darstellung des Teufels. Aber auch die Tugenden und Laster an den Seitenwänden
der Kapelle hatten es ihr angetan. Sie wies auf die Verkörperung des Geizes und
stieß Florian sanft in die Seite. »Der Geiz ist besonders unschön dargestellt.
Ich finde, wir sollten heute mal teuer essen gehen …«
Später prosteten sie sich unter freiem Himmel zu, und die
Drohbriefe, der Tod des Conte, Flavia und Guido rückten mit jedem Schluck Wein
ein Stückchen weiter von Antonia weg. Über ihnen spannte sich ein heller
Sternenhimmel, und um sie herum herrschte das lebhafte Kommen und Gehen von
Menschen, die es gewohnt waren, spät zu essen.
»Auf die wunderbare Essenz des italienischen Lebens«, seufzte
Florian. »Ich hätte gerne mehr davon!«
Müde und glücklich kehrten sie erst gegen Mitternacht mit dem Zug
nach Venedig zurück.
Auch am nächsten Morgen klopfte es an der Tür des Apartments.
Florian fluchte leise, er habe ja geahnt, dass sie hier keinerlei Privatleben
hätten. Antonia sprang pflichtschuldig aus dem Bett und öffnete. Es war Jana,
die Antonia bat, sie ins Ospedale zu begleiten. Sie wollte ihren Großvater noch
einmal sehen, bevor man ihn in den Sarg legte.
Auf dem Platz vor dem Ospedale standen kleinere Gruppen von
Touristen mit ihren Führern. Sie sahen zum Colleoni-Denkmal auf oder lauschten
den Erläuterungen zur gegenüberliegenden Kirche Santi Giovanni e Paolo, einem
gewaltigen Backsteinbau.
Jana schien sehr mitgenommen vom Tod
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