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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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patriarchalischen Familie etabliert hatte. Offiziell war das Aufgabe der Jungs, also war der Eimer fast immer leer. Wenigstens einmal in der Woche aber – und da gab es kein Entrinnen – gelang es Großmutter mittels Schlägen mit der Schöpfkelle auf den Rücken, eins der Mädchen rauszuschicken, damit sie dort gründlich sauber machte; jede Menge volle Eimer, von einem der Männer mit der Schubkarre herbeigeschafft, und dann ging’s los, mit Scheuerpulver und Desinfektionsmittel alles abgeschrubbt, auch die Wände. Alles blitzblank und wie neu. Aber am nächsten Tag war schon wieder alles verdreckt. Wir waren eben ein Haufen Leute, ich sagte es ja schon; muss einer, muss der andere, da ist ein privy schnell verschissen.
    Wie bitte, was sagen Sie? Ob wir uns nach der Verrichtung wuschen? Nein, das taten wir nicht, was stellen Sie sich denn eigentlich vor? Das Bidet wurde in Italien erst 1960 eingeführt – in Amerika und Deutschland, ich nehme an, das wissen Sie, gibt es das immer noch nicht –, und Sie wollen, dass wir uns ausgerechnet während der Trockenlegung der Sümpfe im Agro Pontino am Bidet waschen? »Warte mal«, hätte man da also sagen sollen, während man bis zum Hals im Schlamm steckte und mit der Schaufel den Canale Mussolini aushob, »warte mal, ich geh mich eben am Bidet waschen«?
    Das privy oder der Abort oder wie auch immer wurde im Agro Pontino jedenfalls erst nach 1960 ins Haus verlegt, dann aber überall – in der Stadt wie auch draußen auf dem Land –, als Wohlstand und Elektrifizierung auch uns erreichten. Dann ja, dann wurde großzügig mit Wasser gespült, denn nun gab es ja elektrische Pumpen und Wasserreservoirs und Leitungen, um unsere Exkremente sogleich weit von uns weg zu befördern, ohne das beschwerliche Hin und Her mit den Eimern. Und in der Familie Peruzzi haben alle den Ort immer privy genannt – seit jenem Mal mit den amerikanischen Kameraden vom New Deal. Alle außer einer allerdings: Tante Bissola, die hat es nach jenem einen Mal nie wieder privy genannt. Die war so was von giftig, meine Tante, da machen Sie sich ja gar keine Vorstellung. Sie war giftig wie eine Viper, und um zu verhindern, dass die anderen sie noch einmal aufzogen, hat sie das Wort privy ihr Lebtag nie wieder verwendet, und erst vor wenigen Jahren, bei der Hochzeit eines ihrer Enkel während des Essens in einem Restaurant – Sie wissen ja, hier bei uns dauern solche Hochzeitsessen eine Ewigkeit, auch wenn niemand mehr Hunger leidet wie früher, als man ihn nur an Ostern und Weihnachten und eben bei Hochzeiten wirklich stillen konnte –, irgendwann ist sie also vom Tisch aufgestanden, wie das viele zwischen dem zwanzigsten und einundzwanzigsten Gang tun. Sie hat aber Arthrose in den Beinen, und wenn sie länger sitzt, dauert es ein Weilchen, bis sie wieder in Bewegung kommt, also schwankte sie bei den ersten Schritten. Die Braut – eine amerikanische Kulturanthropologin, die fast mehr in sie als in den Enkel verliebt war – bemerkte das und sagte zum Bräutigam, Tante Bissolas Lieblingsenkel: »Schau doch nur deine Großmutter, die Ärmste. Schau doch mal nach, ob sie etwas braucht.«
    »Großmutter«, sagte da laut und vernehmlich mit besorgter Stimme der Enkel, »wohin gehst du?«
    »Scheißen!«, brüllte Tante Bissola prompt durchs ganze Lokal zurück, aber da sie merkte, dass das doch ein bisschen krass gewesen war, und sie es wiedergutmachen wollte, kreischte sie noch lauter: »Geh du doch auch scheißen und diese amerikanische Kuh von deiner Braut dazu!«
    Auf der anderen Seite des Hauses dagegen – an der Querseite gegenüber vom Stall – war der Backofen. Er war auch blau gestrichen, mit dem obligaten Spitzdach und mit Falzziegeln gedeckt. An der Vorderseite war ein Vordach, das auf zwei Säulen ruhte, damit man auch bei Sonne oder Regen dort arbeiten und backen konnte. Um die Wärme zu nutzen, war oben auf dem Ofen der Taubenschlag untergebracht. Darunter hingegen war Stauraum für Reisig und frisches Holz, das so schneller trocknete und besser brannte. Dahinter, an den Ofen angebaut, um seine Wärme maximal auszunutzen, war oben der Hühnerstall und darunter der Schweinestall. So hatten es alle warm und trocken.
    Was sagen Sie? Dass Sie das nicht besonders hygienisch finden, Hühner und Schweine dort zu halten, wo Brot gebacken wird?
    Aber was hat denn das miteinander zu tun? Vor allem waren die ja hinter dem Ofen und nicht wirklich in Verbindung mit ihm. Zweitens, Wärme ist Wärme,

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