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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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gehen! Nicht gehen!«, kreischte sie, so dass sogar die Schwägerin, Tante Zelinda, irgendwann sagte: »Aber hör doch auf, das ist ja albern, du führst dich auf wie ein kleines Mädchen.«
    »Was denn kleines Mädchen? Ich hab meine Bienen, die mir den ganzen Tag sagen: Du darfst ihn nicht gehen lassen.«
    Auch Großmutter wollte nicht: »Ich hab wieder von einem schwarzen Mantel geträumt.« Aber so ist das Leben nun einmal: »Wir müssen gehen«, sagten meine Onkel, »also gehen wir, siegen und kommen wieder heim. In einem Jahr sind wir wieder da.«
    Unterdessen hatte die Partei – vor allem aber Graf Cerisano-Caratelli, der ein mächtiger Bonze war und sich ebenfalls eingeschaltet hatte – erwirken können, dass das Konsortium darauf verzichtete, einen Prozess gegen die beiden anzustrengen; man ließ es so aussehen, als wäre der Damm des Canale Mussolini von selber eingebrochen, nicht durch ihr Verschulden. Nicht, dass damit alles gelöst gewesen wäre, aber es war doch schon ein schöner Schritt vorwärts, denn wenn sie die verursachten Schäden hätten bezahlen müssen, dann hätten meinen Onkeln nicht einmal ein Krieg der Sterne mehr genügt. Sicher, sie waren am Boden – reif für den Gashahn, wie man heute sagen würde, aber damals gab es noch kein Gas, wenigstens auf unseren Höfen nicht –, aber Schritt für Schritt würden sie es schaffen, dachten meine Onkel: »Ein Peruzzi gibt nie auf, verflucht seien die Zorzi Vila.«
    Es war klar, dass die Frauen auf dem Hof blieben, sie durften nicht fortgehen, um den Besitzanspruch nicht aufzugeben. Sie sollten zusehen, was sie tun konnten. Im Frühjahr sollten sie Zuckerrüben pflanzen, was kam, das kam – zum Leben war ja der Soldatensold da –, und sie sollten sich um den Stall kümmern, es war nur noch wenig Vieh übrig, denn eine Holländer Kuh hatte nach all dem Wasser eine Lungenentzündung oder eine TBC hinweggerafft, das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Eine andere hingegen hatte zu viel nasses Gras gefressen, ihr Bauch hatte sich aufgebläht und sie war verendet. Es war nicht mehr viel da, und nach diesem wenigen würde ab und zu jemand von uns – vom Podere 517 – schauen kommen.
    »Geh nicht!«, hatte sie jedoch die ganze Nacht hindurch weitergeflennt – bevor sie aufbrachen – und Pericle den Rücken wieder und wieder zerkratzt: »Geh nicht!« Und nun raten Sie mal, wer am nächsten Morgen am Bahnhof von Littoria stand, um sich von ihnen zu verabschieden? Der Agronom Pascale. Nie mehr gesehen seit jenem Abend des 4. November, als er mit dem letzten Kapaun abgehauen war, zwei Stunden, bevor der Damm einbrach. Jetzt stand er da am Bahnhof und sagte: »Es tut mir leid, Peruzzi.«
    »Bleib mir weg!«, sagte Armida und spuckte vor ihm aus.
    Onkel Pericle dagegen nahm ihn sehr freundlich zur Seite und sagte zu ihm: »Pascale, das ist Vergangenheit, und geht auch Ihr hin in Frieden. Amen. Aber nehmt Euch in Acht, denn ich habe allen meinen Verwandten Befehl gegeben, wenn sie Euch von weitem sehen, sollen sie sich umgehend ein Gewehr schnappen und nach Herzenslust auf Euch schießen.«
    »Aber Peruzzi …«
    »Geht, sonst fang ich gleich selbst mit dem Schießen an«, und schon hatte er das Gewehr von der Schulter genommen und lud es.
    Natürlich haben wir ihn nie mehr wiedergesehen. Aber der Befehl von Onkel Pericle ist in unserer Familie durch Generationen hindurch lebendig geblieben, und auch heute noch, sobald ein Peruzzi in das Alter kommt, dass er etwas begreift und auch nur ein Wort lallen kann, ist das erste, was man ihm beibringt – nein, nicht dass der Duce die Oma gevögelt hat, das sagt man nicht mehr, seitdem erst der Duce gestorben ist und dann Großmutter –, das erste, was man ihm beibringt, ist: »Hör zu, es gibt zwei Namen, bei denen ein Peruzzi umgehend ein Gewehr holen und schießen muss, der eine ist Zorzi Vila, der andere Pascale. Sobald du die hörst, mein Junge, schieß, deine sämtlichen Vorfahren stehen hinter dir. Ja, Pascale ist noch schlimmer als Zorzi Vila.«
    Tatsache ist jedenfalls, dass Italien noch im Frieden war, als meine Onkel nach Afrika aufbrachen. Nichtkriegführende Partei. Und wenn sie einerseits hofften, wir würden nichtkriegführend bleiben – so würden sie ihre Situation mit ein oder zwei Jahren Sold in Ordnung bringen –, dachten sie andererseits aber auch, selbst wenn wir in den Krieg eintraten, würde das im Handumdrehen erledigt sein: »Was willst du denn, wie lang soll das schon dauern?« Und

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