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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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landeten.
    Wir waren schon evakuiert und sahen ihn nur ein einziges Mal, er kam uns während eines kurzen Urlaubs in den Bergen oberhalb von Cori besuchen, wo Verwandte meiner Tante Nazzarena – der marokkanischen Frau von Onkel Adrasto – uns in einer Höhle mit einer Holzhütte davor untergebracht hatten, wo normalerweise Schafhirten leben. Wir lebten dort – mit vielen anderen evakuierten Siedlern übers Gebirge verteilt – und warteten darauf, dass der Krieg vorbeiging. Er kam uns besuchen, und da war das Kind schon auf der Welt. Er hatte Mühe, uns zu finden, weil das Dorf leer war – auch die Einwohner von Cori waren in ihren Bergen evakuiert –, und er fragte nach »Peruzzi«, während er immer weiter hinaufstieg, aber keiner wusste, wer das war und wo die sich aufhielten. Erst ganz am Schluss hat einer verstanden: »Ah, die Cispadanier mit den Bienen? Geh hier lang, dann da, bieg rechts ab und dort oben ist es gleich«, und endlich fand er uns.
    Armida gegenüber ließ er überhaupt keine Freude erkennen, er grüßte kalt und eisig – »Salve, Tante« –, wie die anderen sich das vermutlich erwarteten, von denen sie dagegen wie eine Aussätzige gemieden wurde. Und er zeigte sich sogar überrascht – wie er meinte, dass die anderen es sich erwarteten – über die Anwesenheit dieses Kindes. »Und wo kommt denn das her?« Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, ob die anderen ihm das abkauften oder ob sie nur so taten, aber so wurde es mir erzählt, und so erzähle ich es Ihnen weiter.
    Zwischen ihm und Armida mussten Blicke genügen. Umarmungen und Küsse hatte er für die Mutter und die anderen Tanten übrig. Und für das Kind natürlich, das Ärmste, das die anderen auch ziemlich wegzustoßen schienen, wie die Mutter. Es heißt, er habe es die zwei Stunden, die er dort war, immer auf dem Arm gehabt, ab und zu in die Luft geworfen und wieder aufgefangen: »Mein kleiner Vetter!«, sagte er. Und dann: »Wie heißt er denn? Paride?«
    »Nein, Pericle.«
    »Periclín«, sagte er da. »Periclín!«, und wieder warf er ihn in die Luft und stülpte ihm seine graue Kappe mit dem roten M der Bataillone M über, worin er ganz verschwand. Der Kleine lachte – Tante Bissola schaute finster drein –, und wieder warf er ihn in die Luft: »Periclín.«
    Armida, seine Tante, musste sich sehr überwinden, um vor allen zu ihm zu sagen: »Paride! Die Milch kommt ihm hoch!«
    »Hähä«, sagte da Tante Bissola mit einem geheuchelten Lächeln, »Paride hat Kinder immer gut leiden können.«
    Dann küssten ihn alle noch einmal, und er ging – für Armida nur ein letzter Blick: »Leb wohl, Tante« –, und von der Front in Nettuno wurde er nach Norditalien versetzt, in den Apennin, um Partisanen zu jagen, oder genauer, diejenigen, die in die Berge gegangen waren, um Graziani zu entkommen. Bürgerkrieg, ich sagte es schon. Und bei diesem Durchstreifen von Tälern und Gebirgen, Küsten und Ebenen, stets auf der Jagd nach diesen Partisanen, hat Paride schließlich dort in Oberitalien einen unserer Vettern getroffen, gleichaltrig mit ihm, einer von den Peruzzi, die oben geblieben waren – diese Verwandten vom Bruder meines Großvaters, mit denen wir immer zusammen gewesen waren, in Codigoro und bei den Zorzi Vila, verflucht seien sie, die aber Sozialisten geblieben waren, die nicht Faschisten geworden waren wie wir und auch nicht in den Agro Pontino gekommen waren, sondern dort geblieben waren –, und dieser Vetter war Partisan. Kommunist. Und Sie wissen ja, wie das zwischen ihm und Paride dann ausgegangen ist, in diesem Blutbad und dem ganzen Gemetzel dort oben, und wenn Sie es doch nicht wissen und auch nicht, ob Paride heil und gesund nach Hause gekommen ist – doch, doch, er ist heimgekommen; obwohl er nicht mehr derselbe war wie vorher – aber das erzähle ich Ihnen ein andermal, denn jetzt ist keine Zeit. Jetzt muss diese Geschichte hier zu Ende gebracht werden. Die anderen Geschichten erzähle ich Ihnen – so Gott will und die Gesundheit es erlaubt – bei einem anderen filò .
    Das wahre Drama war jedenfalls, als man von Großmutter erfuhr, dass dieses Kind kommen würde. Das war der Weltuntergang. Eine griechische Tragödie.
    Die Weihnachtszeit hatte eben begonnen. Am Abend zuvor waren wir alle im Borgo in der Andacht gewesen. Die Angloamerikaner standen mittlerweile vor Cassino an der Verteidigungslinie der Deutschen, der Gustavlinie. Der erste Angriff stand unmittelbar bevor, und von fern hörte man – bamm,

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