Canard Saigon (German Edition)
Plötzlich brannte ihm eine Fülle an Fragen auf den Lippen.
„Woher wissen Sie das?“, wollte Marc wissen.
Im selben Moment schrillte die Türglocke.
„Meine Familie“, sagte Wegner, anstatt ihm zu antworten. „Wenn Sie wollen, Herr Vanhagen, kann ich Ihnen morgen den Rest erzählen, dann werden Sie alles verstehen. Ich bin ein alter Mann, ich habe den ganzen Tag Zeit.“
Marc stand auf und dachte an seine Termine.
„Herr Wegner, was halten Sie davon, wenn ich Sie morgen zum Mittagessen einlade. Ich hole Sie um zwölf Uhr von hier ab. Wäre Ihnen das angenehm?“
„Einverstanden, Herr Vanhagen, morgen erwarte ich Sie, um zwölf Uhr“, sagte Wegner mit einem zufriedenen Lächeln.
Er begleitete Marc zur Tür. Als Wegner öffnete, sah Marc eine Frau und einen Mann im Hausflur stehen. Beide waren etwa in seinem Alter und starrten ihn verdutzt an. Sie trugen Taschen und Körbe, voll mit Lebensmitteln und Knabbergebäck. Marc grüßte, und bevor die beiden etwas sagen konnten, löste Charles Wegner die Situation auf seine Weise.
„Grüß euch, das ist Herr Vanhagen von der Versicherung. In der Wohnung über mir gab es einen Wasserschaden, und er wollte wissen, ob ich auch davon betroffen bin“, log er mit unverschämter Dreistigkeit. „Aber kommt nur herein, Herr Vanhagen ist mit seiner Besichtigung schon fertig.“
Marc schlüpfte an Wegners Familie vorbei und verabschiedete sich.
„Entschuldigen Sie nochmals die Störung, Herr Wegner. Ich wünsche den Herrschaften einen schönen Abend.“
Marc eilte die Treppen hinunter, stieg in seinen Wagen und fuhr los. Während der Heimfahrt kreisten seine Gedanken um die zwei Fragen, die ihm der alte Mann gestellt hatte. Im Geiste ging er nochmals die Pressemeldungen durch. Er musste sich Gewissheit verschaffen. Marc rief im War Room an. Thomas Gridler hatte Journaldienst.
„Thomas, bitte sende mir alle Pressemeldungen, die wir veröffentlicht haben, auf meine E-Mail-Adresse. Außerdem brauche ich alle Zeitungsartikel, die unseren Fall betreffen“, sagte Marc.
„Sehr wohl, Chef. In 20 Minuten hast du alles auf deinem Computer“, versicherte Thomas dienstbeflissen.
Wien, Donnerstag, 22. April 2010, 9.30 Uhr
Marc Vanhagen kam eine halbe Stunde später als geplant ins Büro. Freddy hatte ihn an den Bescheid vom Finanzamt erinnert. Daher hatte Marc beschlossen, sich frühmorgens darum zu kümmern. Da das Finanzamt in Eisenstadt fast auf seiner Route lag, war es kein großer Umweg. Allerdings hatte er nicht mit dem Amtsschimmel gerechnet. Nach einer halben Stunde Wartezeit und einem Streit mit einem verbohrten Finanzbeamten hatte sich herausgestellt, dass seine persönliche Vorsprache unnötig war. Jedenfalls hatte Marc keine Einigung erreicht. Aber wenigstens wusste er jetzt, worum es ging. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als einen Einspruch zu schreiben. Und das war ihm abgrundtief zuwider. Verärgert und wütend war er in sein Auto gestiegen und nach Wien gefahren. Während der Fahrt hatte er sich mühsam wieder beruhigt und seine Gedanken auf die Mordserie fokussiert.
Jetzt saß er an seinem Schreibtisch und versuchte, die verlorene halbe Stunde aufzuarbeiten. Die Pressemeldungen ähnelten dem Vortag. Alle Medien hatten das Verhältnis von Dr. Klein zu Maricela Rodriguez aufgegriffen. Für einen Teil der Journalisten war der Schuldige bereits gefunden und die Kompetenz der Ermittler zweifelhaft, da noch keine Verhaftung erfolgt war. Marc las die Artikel sorgfältig durch. Manchmal ergaben sich durch die Recherchen von Journalisten neue Hinweise, was aber diesmal nicht der Fall war. Bisher war noch kein Reporter auf die Auseinandersetzung zwischen dem Doktor und Emine Düzel gestoßen. Aber Marc war sicher, das würde morgen in den Zeitungen stehen.
Emma Szinovek brachte ihm die Ergebnisse der Laboruntersuchungen der Fahrzeuge. Marc überflog die Berichte. Im Jaguar von Klein wurden Haare gefunden, die nicht von seiner Frau stammten. Die DNA-Untersuchungen würden morgen Klarheit bringen. Die Haare werden von Maricela sein, dachte Marc, aber was sagt uns das? Sie war seine Geliebte und wird öfter mit ihm mitgefahren sein. Das beweist nichts. Im Wagen von Frau Klein wurden einige Tropfen alter Blutspuren entdeckt. Der Vergleich der Blutgruppen ergab eine Überstimmung mit Fay und dem Sohn von Klein. Auch hier würde erst die DNA-Analyse Gewissheit bringen.
Marc ließ sich von Thomas Gridler die Planung der Verkehrskontrollen zeigen.
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