Canard Saigon (German Edition)
überzeugend vorgetragen“, schmunzelte Marc. „Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Abend.“
„Ja, es war ganz nett. Meine Tochter und ihr Mann sind halt sehr fürsorglich. Das kann manchmal ganz schön nerven. Aber Sie meinen es gut mit mir. Seit dem Tod meiner Frau vor 22 Jahren kümmert sich meine Tochter um mich. Sie wollte, dass ich bei ihnen wohne, aber ich komme allein ganz gut zurecht. Das habe ich bei der Legion gelernt. Nach meiner Zeit bei der Fremdenlegion habe ich einige Jahre in Paris gelebt. Ich war sogar verheiratet. Aber die Ehe hielt nicht einmal ein Jahr. Ich war damals ein richtiges Ekelpaket, viel zu aufgewühlt von den Erlebnissen in Indochina. Ich brauchte einige Jahre, um alles zu verarbeiten. Wirklich geholfen haben mir dann meine Mutter und meine zweite Frau, hier in Wien. Ich war schon 38, als wir heirateten. Meine Frau war 32. Bald darauf kam unsere Tochter zur Welt. Als Eltern waren wir ja nicht gerade die Jüngsten. Wahrscheinlich waren wir fürsorglicher und ängstlicher als junge Ehepaare. Mir hat dieses kleine Wesen unglaublich viel Kraft und Ruhe gegeben. Ich genoss unser trautes Heim. Meine Frau war nicht meine große Liebe, aber sie war die wichtigste Stütze in meinem Leben. Ich denke, wir waren ein tolles Team. Ihr plötzlicher Tod hat eine Riesenlücke hinterlassen. Das war die wahrscheinlich schwerste Zeit überhaupt.“ Charles Wegner räusperte sich und starrte nachdenklich auf sein Bierglas. Marc erkannte an seinem schwermütigen Blick, dass Charles die Erinnerung eingeholt hatte.
Die Bedienung brachte in diesem Moment das Essen und holte den alten Mann in die Realität zurück. Marc war erstaunt über die hohe Qualität des Essens. Das Backfleisch war hervorragend. Paniertes Fleisch kannte er nur vom Schwein oder Kalb. Paniertes Beiried aß er zum ersten Mal, und es schmeckte köstlich.
„Herr Wegner“, sagte Marc, nach einem Schluck Bier. „Für mich haben Sie eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Jean Gabin, allerdings sind Sie schlanker. Die Art, wie Sie sprechen, die Gesten, die Gesichtszüge, als wären Sie sein Bruder.“
„Das haben mir schon viele Menschen gesagt“, lachte Wegner. „Vielleicht hätte ich Karriere als Schauspieler machen sollen. Aber wäre das nicht schrecklich? Ich müsste in einer Villa, gebaut aus schlichtem Marmor, an der französischen Riviera hausen. Der Chauffeur würde mich in diesem altmodischen Rolls Royce herumkutschieren, und meine Mitbewohner, eine Schar junger Ladies, würde mir ständig in den Ohren liegen, ob ich ihre Brustverkleinerung bezahle. Oder ich müsste mich, wie der echte Jean Gabin, mit der Zucht von hochklassigen Rennpferden ärgern. Nein, nein, da ist mir das Pensionistenleben in meiner kleinen Mietwohnung im 3. Bezirk wesentlich lieber.“
„Und die Paparazzi nicht zu vergessen“, alberte Marc. „Sie hätten keine ruhige Minute und müssten den ganzen Tag auf Ihrem Privatstrand verbringen.“
„Ich selbst kann diese Ähnlichkeit nicht sehen, aber da ich so oft darauf angesprochen werde, wird schon etwas Wahres dran sein.“
Marc mochte den alten Mann. Er bestellte zwei Tassen Kaffee, eine Melange für sich und einen großen Braunen für Charles Wegner. Dann rauchten sie genüsslich eine Gauloises.
„Herr Wegner, Ihre beiden Fragen von gestern gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich habe alle Pressemeldungen überprüft. Woher wissen Sie von der speziellen Art der Fesselung und von den Entenfedern? Wir haben nichts davon veröffentlicht.“
Charles Wegner presste die Lippen zusammen. Er sah Marc mit einem Ausdruck des Bedauerns an.
„Herr Vanhagen, das habe ich befürchtet. Gerne hätte ich gehört, dass ich völlig falsch liege, dann bräuchte ich mir keine Vorwürfe machen. So aber, fürchte ich, habe ich eine schwere Last zu tragen. Ich kann Ihnen aber meine Lebensgeschichte nicht ersparen, denn sonst würden Sie mich für ein Monster halten.“
Dann begann er mit seiner Erzählung fortzufahren, wo er gestern aufgehört hatte.
Südindochina, Donnerstag, 26. April 1951, 12.00 Uhr
„Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord...“, dieser Ohrwurm verfolgte mich schon den ganzen Tag. Ich grinste, als mir die volle Ironie meiner Situation bewusst wurde. Wir lagen tatsächlich, aber nicht vor Madagaskar, sondern auf einem Hügel im Dschungel nordöstlich von Xom Ben Co. Kurz vor zehn Uhr waren wir auf unserer Patrouille auf die kleine Siedlung in dieser Dschungellichtung
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