Canard Saigon (German Edition)
Vater aus dem Todeskessel bringen konnte. Jetzt blieb nur eine Möglichkeit. Sie mussten ebenfalls den Weg über die Berge nehmen. Aber das war jetzt zu gefährlich. Der Viet Minh beschoss in unregelmäßigen Abständen auch das Vorfeld unserer Stützpunkte. Die Gefahr, auf dem Weg in den Dschungel von einer Granate getroffen zu werden, war zu groß. Nur in der Zeit zwischen vier und fünf Uhr nachmittags ließen die Vietnamesen die Evakuierungswege ungeschoren.
Ich vereinbarte mit Dao Anh und ihrem Vater, dass ich sie um 16 Uhr vom Haus ihres Großvaters abholen würde. Sie sollten inzwischen eine weiße Fahne basteln, und ich würde sie dann zum Übergangspunkt in Ban Ong Pet geleiten. Bis dahin waren sie im Haus ihres Großvaters relativ sicher, denn dieser Teil von Dien Bien Phu war bisher noch nicht angegriffen worden. Dao Anhs Vater war mit diesem Plan einverstanden. In Windeseile organisierte ich einen Jeep und brachte die beiden nach Hause. Während ihr Vater im Haus verschwand, blieb Dao Anh bei mir im Jeep. Wir küssten uns leidenschaftlich.
„Meine kleine Frau“, flüsterte ich. „Ich liebe dich über alles.“
„Ich liebe dich auch, mein frecher Franzose“, hauchte sie und drückte sich an mich. „Bitte, pass auf dich auf! Komm gesund nach Hause!“
Ich blickte ihr in die Augen und bemerkte, wie ihr die Tränen über das wunderschöne Gesicht liefen. Der Schock über den Artillerieangriff und die zerstörten Flugzeuge war ihr in die Knochen gefahren.
„Dao Anh, liebste Dao Anh, ich verspreche dir, dass ich heil aus diesem Wahnsinn herauskomme“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Jetzt bringen wir deinen Vater und dich in Sicherheit, und in ein paar Wochen feiern wir Hochzeit in Saigon. Dann schaffen wir uns ein paar Kinder an, die alle dir ähnlich sehen werden. Sie sollen es schließlich gut haben, in ihrem Leben.“
Sie lächelte und schluchzte dabei ein wenig. Und ich verdammte mich, dass ich nicht darauf gedrängt hatte, sie früher in Sicherheit zu bringen. Wir küssten uns lange. Zwei junge Menschen, die in einer lebensbedrohenden Situation zueinandergefunden hatten, ließen in einem einzigen Kuss all ihren widersprechenden Gefühlen freien Lauf. Dieser Kuss wird mir für immer in Erinnerung bleiben.
Dann verabschiedeten wir uns, und ich raste mit dem Jeep, verstört von diesem betörenden Moment, zurück zum Stützpunkt.
Um 15.45 Uhr instruierte ich meine Männer. Ich sagte ihnen, dass ich einen Geleitschutz für eine Evakuierung durchführen wolle und spätestens in einer Stunde wieder zurück sein würde. Meine Leute boten an, mitzukommen, aber ich lehnte ab. Dann bewaffnete ich mich bis auf die Zähne und sprang in einen Jeep. Der Viet Minh feuerte seit einer Stunde nur mehr einzelne Granaten auf unsere Festung. Ich fuhr zum Haus von Dao Anhs Großvater. Dort angekommen hupte ich, aber niemand reagierte. Ich stieg aus und ging die Stufen hinauf zur Eingangstür. Auf mein Klopfen öffnete sich die Tür, und Dao Anhs Großvater stand vor mir.
„Grüß Gott, mein Name ist Charles Wegner“, sagte ich höflich. „Ich bin hier, um Dao Anhs Familie zu begleiten.“
„Ach, Sie sind also Charles, von dem meine kleine Dao Anh so viel erzählt hat“, sagte der alte Vietnamese in holprigem Französisch. „Es freut mich, Sie kennenzulernen.“
„Freut mich ebenfalls. Ist Dao Anh fertig? Wir sollten uns nämlich beeilen.“
„Ja, aber jetzt muss ich mich wundern“, sagte der Großvater. „Vor einer Stunde war ein französischer Soldat hier, der Dao Anh und meinen Sohn abholte. Er sagte, er sei ein Mann von der Gruppe Sergent Wegners und habe den Befehl, die beiden nach Ban Ong Pet zu begleiten. Charles würde dort auf sie warten. Warum sind Sie jetzt hier, Sergent Wegner?“
Ich erstarrte zu einer Salzsäule. Plötzlich jagten heiße Wellen durch meinen Körper. Mein Kopf dröhnte, ich starrte den Alten ungläubig an. Was war da los? Wer, zum Teufel, erlaubte sich einen solchen Scherz?
„Wie ...? Wer ...? Wie hat der Soldat ausgesehen?“
„Das war so ein großer Mann, sein Gesicht war schwarz angemalt, und er hatte so eine tiefe Stimme. Wieso? Stimmt etwas nicht, Sergent?“
„Ich weiß es nicht, ich muss mich sofort darum kümmern“, presste ich durch die Lippen. „Auf Wiedersehen.“
Ich stürzte die Stufen hinab und sprang in den Jeep. Dao Anhs Großvater rief mir etwas nach, aber ich verstand es nicht mehr.
Ich drückte das Gaspedal durch und raste zur Westseite
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