Canard Saigon (German Edition)
bedingungslos auf mich verließ. Meine Gefühle schlugen Purzelbäume.
Dao Anhs Großvater weigerte sich standhaft, Dien Bien Phu zu verlassen. Das freute mich natürlich, denn so konnte ich meinem Mädchen nahe sein. Doch wir befanden uns auf einem Kriegsschauplatz, auf dem in den nächsten Wochen die blutigste Schlacht dieses Krieges bevorstehen würde. Ich hatte panische Angst um ihr Leben. Wenn ich sie darauf ansprach, lächelte sie nur und meinte, ihr Vater würde sie nie in Gefahr bringen. Sie würden rechtzeitig von hier verschwinden, aber sie mache sich viel mehr Gedanken um mein Leben. Dao Anh hatte nicht unrecht.
Im Februar landeten fast täglich Flugzeuge mit wichtigen Persönlichkeiten. Minister, Abgeordnete und alliierte Offiziere wollten sich vor Ort ein Bild über die geniale französische Taktik machen. In ihrer Euphorie ließen die Generäle sogar ein komplettes Bordell aus Saigon einfliegen, um die Soldaten bei Laune zu halten. Mitte Februar kam Dao Anh ganz aufgeregt zu unserem Treffpunkt. Sie erzählte mir, dass der Viet Minh behauptet, dass die Franzosen damit beginnen, die Zivilbevölkerung zu ermorden. Angeblich sei in der Nähe des Dorfes Ban Mo eine geschändete junge Frau mit durchschnittener Kehle gefunden worden. Allerdings hätten die Thai Dam die Rebellen selbst in Verdacht. Ich hielt nicht viel von solchen Gerüchten, denn der Viet Minh bediente sich gern solcher erfundener Schauermärchen, um die Propaganda anzuheizen. Während der nächsten Tage verstärkte der Viet Minh den Granatenbeschuss des Flugfeldes. Langsam wurde klar, dass diese Teufelskerle es geschafft hatten, viel mehr Artilleriegeschütze in den Dschungel zu bringen, als wir wahrhaben wollten. Unsere Patrouillen entdeckten täglich Gräben, die vom Dschungel in Richtung unserer Stellungen führten. Die Viet Minh arbeiteten jede Nacht, am darauffolgenden Tag schütteten wir die Gräben wieder zu. Eine zermürbende, anstrengende Arbeit, begleitet von den ständigen Aufrufen aus dem Dschungel, wir sollten doch zur ruhmreichen Armee der vietnamesischen Arbeiterklasse wechseln.
Ende Februar traf ich bei einem solchen Arbeitseinsatz auf Horst Muler. Er war der vierten Kompanie zugeteilt worden. Seit unserer Begegnung kurz nach seiner Ankunft hatte ich ihn nur einige Male von Weitem gesehen. Er hielt sich weder in der Kantine noch in den Mannschaftsräumen auf. Es schien, als würde er mich meiden. Von seinen Kameraden erfuhr ich, dass er sich immer zurückzog und nur zum Dienst auftauchte. Horst suchte mit niemandem Kontakt und sprach nur das Notwendigste. Mir war es egal. Nach unserem seltsamen Gespräch hatte ich nicht das Bedürfnis, seine Nähe zu suchen. An diesem Tag führte uns der Zufall zusammen. Meine Männer hatten den ganzen Vormittag Gräben zugeschaufelt. Um die Mittagszeit kam die Gruppe der vierten Kompanie, der Horst zugeteilt war, um uns abzulösen. Als ich ihn erkannte, traute ich meinen Augen nicht. Sein Gesicht war mit schwarzer Farbe beschmiert und er trug als Einziger seinen Tarnanzug. Um den Kopf hatte er ein schwarzes Tuch geknüpft und er war bis auf die Zähne bewaffnet. Als wollte er ganz allein in den Krieg ziehen. Ich begrüßte erst Sergent Styger, der unsere Ablösung befehligte, und erklärte ihm die Lage. Meine Männer packten ihre Schaufeln und machten sich zum Abmarsch bereit.
„Hallo Horst“, grüßte ich Horst Muler knapp, als er an uns vorbeimarschierte. Er blieb kurz stehen und schaute mir in die Augen.
„Sergent Wegner“, sagte er leise, fast verächtlich. Er verzog sein Gesicht, und ich sah für einen Bruchteil einer Sekunde in eine hasserfüllte Fratze. Aber Horst hatte sich sofort wieder unter Kontrolle, wandte sich von mir ab und begab sich zu einem der Gräben.
„Kennst du den?“, fragte Sergent Styger. Ich nickte.
„Er war einige Tage bei uns, in der ersten Kompanie.“
„War der immer schon so eigenartig?“
„Früher nicht.“
„Der ist ein echter Einzelgänger. Rennt Tag und Nacht im Kampfanzug herum, redet mit niemandem und hat einen Blick wie ein Irrer. Oft schläft er nicht einmal in der Unterkunft. Mir ist nicht wohl mit dem Kerl. Möchtest du nicht einen Mann deiner Truppe gegen ihn eintauschen?“
„Behalt ihn nur“, sagte ich. „Ich komme auch ohne ihn zurecht.“ Dann sammelte ich meine Männer und marschierte zum Stützpunkt.
Dien Bien Phu, Donnerstag, 11. März 1954
Die Lage spitzte sich dramatisch zu. Die knisternde Spannung vor der
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