Canard Saigon (German Edition)
Kriegsgefangene. Dao Anh, die Liebe meines Lebens, und ihr Vater waren tot. Ihr Mörder, Horst Muler, war übergelaufen und erfreute sich im Arbeiterparadies bester Gesundheit. Ich habe nie wieder von ihm gehört.
Vietnam, Paris, Wien, 1954
Irgendwie hatte ich Glück im Unglück. Meine Verletzungen waren zwar schwer, aber da ich einer der ersten Verwundeten dieser Schlacht war, flickten mich die Ärzte des Viet Minh notdürftig zusammen. An der Schulter hatte ich einen glatten Durchschuss, am Oberarm war nur ein Muskel verletzt. Mein Kiefer war gebrochen. Am schlimmsten war meine Beinverletzung. Die Kugel hatte mein Schienbein durchschlagen. In einer komplizierten Operation konnte mein Bein gerettet werden. Nicht, dass den Ärzten so viel an meiner Gesundheit gelegen war. Ich war für sie ein willkommenes Schulungsobjekt. Während der Operation stand eine Heerschar von Sanitätspersonal um den notdürftigen Operationstisch mitten im Dschungel und lauschte aufmerksam den Ausführungen der Chirurgen. Das Interesse an mir erlosch kaum zwei Stunden später, als die ersten schwer verwundeten Viet Minh herbeigeschafft wurden. Ich kam in ein Lazarett und am nächsten Tag in ein Gefangenenlager.
Nicht die zweifelsohne großen Schmerzen waren mein Problem, sondern mein fehlender Lebenswille. Sehr bald bekam ich Fieber. Dann gesellte sich Malaria und schließlich Ruhr dazu. Die meiste Zeit lag ich im Fieberwahn, in den wenigen hellen Momenten überkam mich Todessehnsucht. Den Gefangenentransport nach Thanh Hoa registrierte ich nicht bewusst. Auch von der vernichtenden Niederlage der französischen Truppen in Dien Bien Phu, wo 8200 Kameraden ihr Leben lassen mussten, bekam ich nichts mit. Ich hatte das Glück, beim ersten Gefangenenaustausch im Sommer 1954 dabei zu sein. Die Verwundungen und Krankheiten hatten mir schwer zugesetzt. Beim Austausch wog ich nur noch 38 Kilo. Ich wurde auf ein Schiff verfrachtet und nach Frankreich geschickt. Während der gesamten Überfahrt kämpften die Ärzte um mein Leben. Nach unserer Ankunft in Marseille wurde ich mit einem Sondertransport nach Paris in das berühmte Militärhospital Val-de-Grâce gebracht. Erst dort kam ich wieder richtig zu mir. Meine körperliche Genesung dauerte bis Dezember 1954. Seelisch war ich noch für Jahre verkrüppelt.
Für die Fremdenlegion war ich ein Held. Ein Kollaborateur der Viet Minh hatte den Offizieren der Legion in Dien Bien Phu von meinem wahnwitzigen Sturmlauf gegen eine vollzählige Brigade erzählt. Angeblich hatte ich dabei 23 Rebellen getötet und elf verwundet. Ich war ein verdammter Kriegsheld. Die Legion überhäufte mich mit Orden und Auszeichnungen. Ich wurde von allen Regimentern und Ausbildungslagern eingeladen, wo meine Taten gerühmt wurden. Am 15. März 1955 wurde ich in allen Ehren entlassen. Die Legion erhob mich in den Status eines Veteranen. Das hieß, ich war ab sofort pensionsberechtigt. Sie besorgte mir eine schöne Wohnung in Paris und bezahlte eine zweijährige Ausbildung zum Bürokaufmann.
Seelisch war ich ein Wrack. Ich trank zu viel und war äußerst streitsüchtig. Bald lernte ich eine Frau kennen und heiratete. Aber ich war ein ziemliches Ekel. Nach einem halben Jahr lief sie mir davon, und wir ließen uns scheiden. Ich konnte den Verlust von Dao Anh einfach nicht verwinden. Und über einen Punkt zermarterte ich mir das Hirn: Woher wusste Horst Muler, dass ich Dao Ahn und ihren Vater über den Dschungel in Sicherheit bringen wollte? Ein Rätsel, das mir bis heute unerklärlich ist. Und der viele Alkohol, den ich damals zu mir nahm, half mir auch nicht weiter. Bevor ich endgültig in die Gosse abrutschte, entschloss ich mich, nach Wien zu fahren. Wegen meiner Verdienste setzte sich das französische Außenministerium für mich ein. Seit damals bin ich Doppelstaatsbürger.
Am 12. Juni 1958, etwas mehr als zwölf Jahre nachdem ich Wien verlassen hatte, betrat ich wieder österreichischen Boden. Ich besuchte meine Mutter, zu der ich all die Jahre keinen Kontakt gehabt hatte. Sie war allein und sehr krank. Zwar stritt sie es ab, aber ich glaube, sie hatte meine überstürzte Flucht nie überwunden. Sie erzählte mir, dass mein Verschwinden völlig unnötig gewesen war. Ich dachte immer, dass ich einen russischen Besatzungssoldaten getötet hatte, der dabei war, meiner Mutter Gewalt anzutun. Aber sie erzählte mir, dass sie dem tot geglaubten Soldaten drei Wochen nach dem Vorfall begegnet war. Er hatte eine hässliche Narbe
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