Canard Saigon (German Edition)
schwer zu schaffen machte.
Ein weiteres Versehen, das mir unterlief. Sofort hakte ein Teilnehmer nach. Was ich mit neuerlichem Verlust meine, fragte er. Und ein anderer wollte wissen, wie das mit dem Überleben im Dschungel gemeint war. Ich fühlte mich schutzlos und enttarnt. In diesen Momenten nahmen meine Emotionen überhand und ich schilderte erstmals eine stark verkürzte Version meiner Vergangenheit. Ich erzählte ihnen, dass ich bei der Fremdenlegion gedient habe. Und dass es in Saigon ein Bordell gibt, in dem Enten gefickt werden, deren Todeskampf höchste sexuelle Befriedigung bereitet. Ich beschrieb die Fesselung der Enten und dass ein durchgedrehter Legionär diese Art der Befriedigung mit Mädchen praktiziert hat. Dass er den Mädchen erst die Hände hinter dem Rücken fesselte, vom Handgelenk bis zum Ellbogen. Dass er sie dann vergewaltigte, um ihnen kurz vor dem Orgasmus die Kehle durchzuschneiden. Und ich erzählte, dass ich auf diese Weise meine erste große Liebe verloren habe. Und dass mir der Mörder auch noch höhnisch zugerufen hatte, dass die Ente besser gewesen sei.
Ich weiß noch, dass mir am Ende meiner Schilderung die Tränen über die Wangen liefen. Die Zuhörer schienen betroffen. Der Trainer brach an diesem Punkt das Seminar ab, und wir gingen schweigend auseinander. Noch am selben Abend reiste ich, nach Rücksprache mit dem Trainer, ab. Ich brauchte einige Tage Einsamkeit, um wieder zur Ruhe zu kommen.
Aus heutiger Sicht muss ich zugeben, dass mir dieses Seminar gutgetan hat. Meine innere Verspannung hatte sich gelöst und ich konnte endlich richtig trauern. Und endgültig meinen Frieden mit meinen toten Frauen machen.
Herr Vanhagen, hoffentlich irre ich mich, aber ich fürchte, ich habe mit meiner Schilderung in diesem Kreis ein Monster zum Leben erweckt. In den Berichten über die derzeitige Mordserie erkenne ich zu viele Parallelen zu meiner Geschichte. Ich kann nicht an so viel Zufall glauben. Ich befürchte, dass ich an diesem Nachmittag im September 1988 die Saat für die Verbrechen von heute, 22 Jahre später, gesät habe.“
Marc runzelte nachdenklich die Stirn.
„Und Sie haben bei keiner anderen Gelegenheit darüber gesprochen, Herr Wegner?“
„Niemals, Herr Vanhagen, weder vorher noch nachher.“
„Na ja, ich weiß auch nicht, wie ich die Geschichte einschätzen soll“, sagte Marc. „Ob ein Mörder erst nach 22 Jahren zuschlägt? Aber die Gemeinsamkeiten sind zweifelsohne verblüffend. Vielleicht haben die Teilnehmer die Geschichte weitererzählt. Dann wird die Ermittlung schwierig. Jedenfalls werden wir der Sache nachgehen, das kann ich Ihnen versichern, Herr Wegner.“
„Herr Vanhagen, mir wäre es am liebsten, wenn Sie den Täter noch heute schnappen, und es stellt sich heraus, dass ich nichts damit zu tun habe.“
„Das glaube ich Ihnen, Herr Wegner“, stimmte Marc bei. „Sagen Sie, erinnern Sie sich noch an die Namen der Teilnehmer?“
„Es tut mir leid, Herr Vanhagen, aber ich kann mich an keinen einzigen erinnern. Ich bin ein Jahr später in Pension gegangen und hatte auch mit keinem beruflich zu tun. Der Trainer, glaube ich, hat hauptberuflich an der Universität gearbeitet. Aber auch da bin ich mir nicht ganz sicher.“
„Na schön, vielleicht hat die Elementar noch Unterlagen von den Seminaren. Wir werden sehen.“ Marc packte sein Aufnahmegerät ein und verlangte nach der Rechnung. „Jedenfalls danke ich Ihnen für die interessanten Informationen, Herr Wegner.“
„Ich hoffe, dass ich Ihnen nicht die Zeit gestohlen habe, Herr Vanhagen. Und dass Sie mich nicht für einen verwirrten, alten Mann halten, der die Leute mit seiner Lebensgeschichte nervt.“
„Im Gegenteil, Herr Wegner. Sie haben uns auf eine vielversprechende Spur gebracht. Für mich war es ein lehrreicher Nachmittag. Ich bedanke mich für Ihre Offenheit. Und das Vertrauen, dass ich der Erste bin, dem Sie Ihre Lebensgeschichte erzählten, ehrt mich.“
„Ach, mir ist jetzt auch leichter. Ich freue mich, dass ich einen Zuhörer hatte, der mich nicht gleich für verrückt hält“, sagte Charles Wegner.
Marc bezahlte die Rechnung. Dann rauchten sie noch eine Zigarette.
„Sagen Sie, Herr Wegner, wie ist die Schlacht von Dien Bien Phu ausgegangen?“, fragte Marc, immer noch gefangen vom Thema.
„Es wurde eine schreckliche Niederlage“, antwortete der alte Mann. „Allein der erste Beschuss, sozusagen über meinen Kopf hinweg, dauerte zwei Stunden. 20.000 schwere Granaten
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