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Canard Saigon (German Edition)

Canard Saigon (German Edition)

Titel: Canard Saigon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Friesenhahn
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am Kopf. Sie hatte sich bei seinem Anblick gefürchtet, aber er hatte sie nicht wiedererkannt. Der Russe war zu betrunken gewesen und noch dazu mit dem Kopf gegen einen Herd geknallt. Das hatte offenbar zu dem Gedächtnisverlust geführt. Und ich hatte gedacht, ich hätte ihn erstochen. Welch eine Laune des Schicksals! Aber damals war ich 17 und hatte keinerlei Erfahrung mit Tod oder Verwundung.
    Ich zog bei meiner Mutter ein und pflegte sie ein ganzes Jahr bis zu ihrem Tod. So seltsam das klingen mag, aber die Pflege meiner kranken Mutter gab mir Stück für Stück meine Lebenskraft zurück. Indem ich mich um einen geliebten Menschen kümmerte, machte ich auch meinen Frieden mit meiner großen Liebe. Langsam begann ich, den Verlust von Dao Anh zu akzeptieren.

Wien, Donnerstag, 22. April 2010, 17.00 Uhr
    „Herr Wegner, mir fehlen die Worte“, sagte Marc Vanhagen. Fasziniert hatte er der Erzählung des alten Mannes gelauscht. Zwischendurch hatte er das Gefühl, er wäre im Kino. Da saß ihm die Kopie von Jean Gabin gegenüber und zog ihn mit seiner Geschichte derart in ihren Bann, dass er Ort und Zeit vergaß. Und warum er hier war.
    „Sie hatten ein außergewöhnliches Leben. Spannend und aufregend, wie in einem Roman.“
    „Ja, Herr Vanhagen, aber glauben Sie mir, manchmal war es mir zu aufregend. Aber all das ist lange her. Ich lebe schon jahrelang ruhig und beschaulich. Nur, ganz lässt mich die Vergangenheit nicht los. Vor allem wenn ich schlafe. Da tauchen hin wieder die alten Gespenster in Form von Albträumen auf.“
    „Das glaube ich Ihnen sofort“, sagte Marc und nickte zustimmend. „Wissen Sie, Herr Wegner, ich habe heute unglaublich viel gelernt. Ehrlich gesagt, die Fremdenlegion kannte ich nur als Mythos, als Zufluchtsort von verkrachten Existenzen. Damit war mein Wissensstand erschöpft. Und den Vietnamkrieg kenne ich nur als amerikanischen Krieg. Ich wusste zwar, dass Frankreich dort Kolonialmacht war, aber mehr nicht.“
    „Da sind Sie nicht der Einzige, Herr Vanhagen“, sagte Charles Wegner lächelnd. „Die massive Aufarbeitung des amerikanischen Traumas durch die Medien und die Filme aus Hollywood hat unseren kleinen Krieg an den Rand des Vergessens gedrängt.“
    „Herr Wegner, ich sehe auch die starken Parallelen zu unserer Mordserie“, sagte Marc und sprach den eigentlichen Grund ihrer Unterhaltung an. „Aber mir fehlt der direkte Zusammenhang. Die Opfer wurden tatsächlich auf dieselbe Weise gefesselt, wie sie es geschildert haben. Auch die Entenfedern bei den Toten weisen auf eine Verbindung hin. Aber ich denke, Sie werden wohl nicht der Täter sein. Und Ihr Widersacher, Horst Muler? Der müsste jetzt um die 90 Jahre alt sein, oder? Und ehrlich gesagt, Herr Wegner, schätze ich Sie nicht so ein, dass Sie mit Ihrer Geschichte am Wirtshaustisch prahlen. Also, wo ist der Anknüpfungspunkt?“
    „Sehr scharfsinnig, Herr Oberst“, lobte Charles Wegner. „Sie haben natürlich recht. Ich bin nicht der Täter, und auch nicht der SS-Mann. Und Sie sind wirklich der Erste, dem ich meine Geschichte zur Gänze erzählt habe. Die Betonung liegt aber auf zur Gänze. Es gab eine einzige Situation in meinem Leben, in der ich teilweise über meine Erlebnisse in Indochina gesprochen habe. Und das verursacht mir Kopfzerbrechen. Na, ich weiß auch nicht, vielleicht irre ich mich auch.“
    „Erzählen Sie es mir einfach, dann sehen wir weiter“, ermunterte Marc den alten Mann.
    „Am 7. September 1988 verstarb meine Frau. Das war ein schwerer Schlag für mich. Meine Tochter war 20 und Gott sei Dank ziemlich selbstständig. Sie bot mir Halt in dieser Zeit, denn ich hatte Mühe, den Schicksalsschlag zu verkraften. Ich war 59 Jahre alt und bei der Wiener Elementar als Fachinspektor für Gewerbeversicherungen beschäftigt. Eine Woche nach dem Begräbnis meiner Frau war ich für ein innerbetriebliches Seminar angemeldet. Erst wollte ich absagen, aber meine Tochter meinte, ich solle den Kurs besuchen, um auf andere Gedanken zu kommen. Widerstrebend ließ ich mich letztlich doch überreden und fuhr in das Ausbildungszentrum nach St. Wolfgang. Das Thema des Seminars war Konfliktbearbeitung und effiziente Gesprächsführung in Gruppen . Der Titel sagte mir gar nichts. Mein Vorgesetzter hatte mich angemeldet, und wegen des Todes meiner Frau hatte ich auch keine Informationen über den Inhalt eingeholt. Ich war einer von zwölf Teilnehmern. Hauptsächlich junge Burschen zwischen 20 und 25 Jahren. Die meisten

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